
Fürs Forum habe ich ihn mit einigen youtube-Videos ergänzt, die allesamt nicht von mir sind.
Zu lateinamerikanischen Ländern hatte ich eigentlich überhaupt keine Affinität. Ich spreche kein Spanisch und war noch nicht einmal in Spanien. Mexiko wäre in meinen Reiseplänen wohl überhaupt nie aufgetaucht, gäbe es da nicht eine Freundin mexikanischer Herkunft, die mich, seit sie 2006 in ihre Heimat zurückgekehrt war, mehrfach zu sich eingeladen hatte.
Daß die Reise aus persönlichen Gründen meinerseits mehrfach aufgeschoben werden mußte, erwies sich letztlich als Glücksfall, denn 2010 war das Super-Jubiläumsjahr mit dem 200. Jahrestag der mexikanischen Unabhängigkeit und dem einhundertsten der mexikanischen Revolution. Zwar fragte ich mich, mit mexikanischer Geschichte bis dato völlig unvertraut, ob dies denn nicht chronologisch falsch sei, aber in jedem Fall war klar, daß das ausgiebig gefeiert werden würde. Damit sollte ich recht behalten.
Im September 2010 sollte es nun also losgehen. Victoria de Durango war mein Ziel, eine Stadt fernab aller Touristenströme am Rande der westlichen Sierra Madre, Hauptstadt des Bundesstaates Durango und Geburtsstadt von Pancho Villa. Wer von Durango noch nie gehört hat, auch nicht im Zusammenhang mit ihrem berühmten Revoluzzersohn, hat sie dennoch sicherlich schon gesehen, denn hier sind seit Jahrzehnten hunderte von Western gedreht worden.

Ich hatte keine genaueren Vorstellungen, was mich dort erwarten würde, so wie meine Vorurteile mir rückblickend überhaupt etwas albern vorkommen. Ich malte mir ein staubiges, kakteenübersätes Land voller schießwütiger schnauzbärtiger Männer mit großen Hüten aus, die Rinder mit der bloßen Hand erwürgen.
Ein erster Versuch, mir mittels youtube ein etwas realistischeres Bild zu verschaffen, führte mich direkt zu einem Video voller schießwütiger schnauzbärtiger Männer mit großen Hüten, die ein Rind... Ich verzichte mal darauf, besagtes Video hier zu verlinken, denn gleich die ersten Sekunden sind tatsächlich nichts für Zartbesaitete und es deckte sich mit meinen Vorurteilen so sehr, daß es geradezu lachhaft war.
Weiterbringen sollte mich die Bestellung eines Lonely Planet. Daß das Land wohl vielfältiger sein müsse, als ich mir ausgemalt hatte, wurde mir spätestens klar, als ich das über tausend Seiten starke und wohl zwei Pfund schwere Buch im Postamt in Empfang nahm. Der LP war zwar der einzige Reiseführer, der Durango und seiner Umgebung mehr als nur ein paar Nebenbemerkungen widmete, dennoch fehlten mir auch hier die entscheidenden Informationen. Durango liegt, wenn auch nur am Rande der Sierra Madre, bereits sehr hoch. Ausflüge in die Umgebung, vor allem an den Pazifik, würden möglicherweise durch weitaus größere Höhenlagen führen, mehr als aus gesundheitlichen Gründen für mich vertretbar sein könnte. Hier erwies sich das Mexiko-Forum http://www.mexico-mexiko.com als große Hilfe. Ein paar der dort aktiven User machten sich einige Mühe, meine Fragen zu beantworten und die für mich relevanten Daten zusammenzutragen, so daß ich letztendlich entscheiden konnte, die Reise überhaupt anzutreten.
Sich um mich sorgende Menschen waren darüber alles andere als glücklich, pflegten sie doch ihre eigenen Vorbehalte gegen das Land. Von Kokainschmuggel, Drogenkriegen, 28.000 getöteten Zivilisten in den letzten Jahren, unzähligen Vermißten, mexikanischen Städten, die die Hitliste der gefährlichsten Städte der Welt anführen und nicht zuletzt der angeblich größten Organmafia der Welt war da die Rede. Dazu die Information, daß ältere deutsche Handys in Mexiko keinen Empfang hätten. Noch am Vorabend der Reise fragte mich meine Mutter, ob ich nicht doch absagen könne…
Als ich also am nächsten Tag aufbreche, tue ich das mit gemischten Gefühlen. Ich bin neugierig auf das Land, habe auch keine wirkliche Angst und bin sicher, in Begleitung grundsolider Einheimischer wohl kaum einer ernsthaften Gefahr ausgesetzt zu sein. Ich freue mich, meine Freundin wiederzusehen und ihre Heimat kennenzulernen. Nur die Vorstellung, mangels Handyverbindung nicht jederzeit mit Deutschland Kontakt aufnehmen zu können, macht mir zu schaffen und so richtig vorstellen kann ich mir das zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht.
Am Charles de Gaulle nutze ich dann auch die letzte Gelegenheit für ein paar hektisch hingetippte Abschiedsnachrichten, bevor ich mich in die Schlange zum Boarding einreihe. Die scheint fast nur aus finster blickenden Mexikanern zu bestehen und ich frage mich, natürlich nicht ganz ernsthaft, ob es nun besser sei, den Rucksack mit den Händen vorm Bauch festzuhalten, um ihn vor unerlaubtem Hinzufügen von Kokainpäckchen zu schützen, oder ihn auf dem Rücken zu tragen, um eine meiner Nieren vor unerlaubter Entwendung zu bewahren.
Der Flug verläuft ohne Auffälligkeiten. Ich sitze neben einem jungen Franzosen, der sich zum Apéritif einen Champagner bestellt und ich tue es ihm nach. Jetzt ist Urlaub! Daunenkissen, Rotwein so viel man will, ein zartes Curryhuhn, Camembert mit Butterbrötchen und anschließend ein Schokoladenkuchen, der innen so flüssig ist, wie man sich das wünscht. Ich liebe Air France.
Bei Ankunft in Mexico City am nächsten Morgen, kaum daß die Maschine aufgesetzt hat, im gesamten Flugzeug ein und dieselbe Handbewegung: Der Griff zum Handy. Tatsächlich ist meines tot. Seltsames Gefühl. Wie abhängig man von dem kleinen Kästchen geworden ist. Wie kam man eigentlich früher klar? Nun gut, es ist, wie es ist.
Der Flughafen ist groß und unübersichtlich und für den Inlandsflug nach Durango muß ich in das neugebaute Terminal, das weitab liegt und mit einem über eine Hochtrasse verkehrenden Zug erreicht werden kann. Der Aérotren fährt alle paar Minuten und ist kostenlos. Die Fahrt ist nur kurz, aber man bekommt von dieser erhöhten Position einen kleinen Eindruck von diesem Moloch, der am Horizont von hohen Bergen umgeben in einem Talkessel liegt. In dem neuen Terminal finde ich mich nicht sofort zurecht, aber die Mexikaner sind sehr hilfsbereit. Mir wird mehrfach von Flughafenpersonal unaufgefordert Hilfe angeboten, zunächst auf Spanisch, dann auch in gebrochenem Englisch und damit geht es ganz gut. Auffallend ist die große Zahl an Personal, das häufig sogar einen Rollstuhl mit sich herumschiebt, den zu nutzen im Bedarfsfall kostenlos zu sein scheint.
Ich habe mehrere Stunden Wartezeit, Durango wird nicht so oft angeflogen oder die Flüge waren bereits ausgebucht, so daß mir nichts anderes übrigbleibt, als mir die Zeit zu vertreiben. Schnauzbärtige Schießwütige sind mir bislang keine aufgefallen, aber Polizisten flitzen unentwegt auf ulkigen Segway-Rollern durch die Gänge.
Es ist bereits später Abend, als es weitergeht. Der Flug dauert nochmals zwei Stunden, das Land ist eben riesig. Ich bin inzwischen über 24 Stunden unterwegs und todmüde.
Als nach der Landung dann ein Amerikaner und ich kofferlos am Gepäckband übrigbleiben, bin ich wieder hellwach. Schließlich erscheint ein Offizieller, der uns irgendetwas mitzuteilen gedenkt, aber mangels Spanisch auf unserer Seite und mangels Englisch auf der seinen, kommen wir nicht klar. Mit Hilfe meiner Freundin, die mir durch die Glastür zuruft, mein Koffer befinde sich beim Zoll und ich solle dem Mann folgen, klärt sich das. Als wir im Nebenraum angelangen, sind unsere Koffer bereits geöffnet und ein paar Zollbeamte kehren das Unterste zu oberst. Wir waren offenbar die einzigen Transitreisenden, und nun wird gründlich gefilzt. Damit mache ich erste Bekanntschaft mit dem Krieg, den der mexikanische Polizeipräsident den Drogenbaronen angesagt hat und dessen Auswirkungen das Land weltweit in so ein schlechtes Licht rücken.
Meine Drogen habe ich natürlich zu gut versteckt, es wird auch alles wieder ordentlich eingepackt und endlich bin ich da und wir fahren durch die nächtliche Stadt nach Hause. Es ist schwülwarm, ich erkenne Palmen und im Vorbeifahren ein angestrahltes Denkmal Pancho Villas. Die Stadt scheint hübsch zu sein und ist bereits opulent geschmückt mit Lichterketten und Girlanden in Landesfarben, rot-weiß-grün. Es sieht ein bißchen weihnachtlich aus und die Ampeln sind in der Farbenorgie kaum noch zu erkennen.
Zuhause angekommen gibt es zur Begrüßung Tequila und ich überreiche meine Mitbringsel. Während die ausgepackt werden, bekomme ich das mexikanische Handy überreicht für ein paar „Gut angekommen“-SMS nach Deutschland. Das Problem der Erreichbarkeit bzw. Nichterreichbarkeit, erklärt man mir, liegt an der faktischen Monopolstellung des Anbieters Telcel, dessen Eigentümer, Carlos „Slim“ Helú, noch im selben Jahr zum reichsten Mann der Erde erklärt werden wird. Konkurrenzunternehmen gibt es, aber auch sie bieten keinen flächendeckenden Empfang und außer in einem kleinen Bereich der Südweststaaten der USA funktionert auch kein älteres mexikanisches Handy außerhalb Mexikos, so daß viele Mexikaner sich mindestens zwei Handys mit Prepaid-Karten unterschiedlicher Netzbetreiber gönnen, um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein, auch meine Freundin tut dies.
Das Abenteuer Mexiko beginnt direkt vor der Haustür, als wir uns am nächsten Mittag, als ich meinen Jetlag ausgeschlafen habe, auf den Weg machen. Im Innenhof des verwinkelten Hauses, in dem meine Freundin lebt, halten zahlreiche Nachbarn Siesta als gemütliche Joint Venture, wie sich bereits in Wolken ankündigt, bevor wir um die Ecke biegen. Sie sind ebenso fröhlich wie bekifft und es entspinnt sich eine ausgiebige Begrüßungszeremonie mit Wangenküssen und Händeschütteln. Ein älterer Mann, der einige Jahre in Deutschland gelebt hat, kramt die verbliebenen deutschen Brocken hervor. Er hoffe sehr, daß es mir in Mexiko ebenso gut gefiele, wie ihm seinerzeit in Deutschland. Während er diese Lobpreisungen von sich gibt, ahne ich irgendwie, was jetzt gleich passieren wird. Er ergreift meine rechte Hand mit seinen beiden, schüttelt sie wild und entbietet mir mit strahlendstem Lächeln ein fröhliches „Heil Hitler!“ um mich gleich danach an sich zu ziehen und fest zu umarmen. Über seine Schulter hinweg linse ich meine Freundin an, die erschrocken aussieht, aber ich muß mir das Lachen verkneifen. Sowas passiert mir nicht zum ersten Mal, aber noch nie mit so entwaffnender Herzlichkeit wie hier.
Der Weg zum Elternhaus meiner Freundin ist nur kurz und führt durch eines der besseren Wohnviertel Durangos. Die Häuser sind, im Adobe-Stil errichtet, klein und würfelförmig, meist in hellen Farben getüncht, die Fenster vergittert, die Gärten von hohen Mauern umgeben, über die hinweg üppig blühender Oleander, Hibiskus und Flamboyants einen grellen Kontrast bilden. Es ist sehr heiß. Das Klima, so erfahre ich, habe sich in den letzten Jahren verändert. Die Winter seien wärmer, die Sommer verregneter und dafür schwüler, es sei eher tropisch und das sei man hier auch nicht gewohnt.
Auch für die Eltern habe ich ein paar kleine Mitbringsel. Der Vater, den ich in der kommenden Zeit nie anders als im cremefarbenen dreiteiligen Anzug mit goldener Uhrenkette und pfeiferauchend erleben werde, überreicht mir im Gegenzug zwei Geldscheine und ich bin zuerst ein bißchen verwirrt, weil ich nicht weiß, was das bedeuten soll. Es sind zwei 200 Pesos-Scheine, so stellt sich heraus, Sondermotive, zu den in zwei Tagen stattfindenden Jubiläumsfeierlichkeiten herausgegeben, die er für mich gesammelt hat und mir schenken möchte. Daß wir uns bis auf minimale Brocken nicht verständigen können, bedauere ich sehr. Der alte Herr ist hochgebildet, wirkt sehr warmherzig und wäre sicher ein sehr interessanter Gesprächspartner gewesen. Vor dem Haus sein Wagen, ein imposanter Ford aus den Siebzigern, der aussieht, als hätten Starsky und Hutch zuletzt damit Verbrecher gejagt.
Zur Begrüßung habe ich diesmal die Wahl zwischen Tequila und Mexcal. Der Tequila, dem ich in Deutschland eigentlich bislang nichts abgewinnen konnte, hat mir letzte Nacht gut geschmeckt. Anders, als ich es kenne, trinken sie ihn hier nicht mit Salz und Zitrone, sondern pur, aus kleinen Schnapsgläsern. Als ich vorsichtig frage, ob Mexcal nicht das Zeugs mit dem Wurm in der Flasche ist, erzeugt das schallendes Gelächter. Das gebe es, aber das sei Touristenquatsch, erfahre ich, kein Mexikaner komme auf die Idee, etwas zu trinken, in dem ein Wurm schwimmt.
Bei einer kleinen Rundfahrt bekomme ich einen ersten Eindruck von der Stadt. Durango hat etwa 600.000 Einwohner, mehr als meine Heimatstadt, aber es geht eher kleinstädtisch zu. Auch im Stadtzentrum moderates Verkehrsaufkommen, keine Staus. Die Altstadt (und das bedeutet eigentlich fast das gesamte Stadtzentrum) zeichnet sich durch wunderschöne Kolonialbauten aus, in deren Sanierung in den letzten Jahrzehnten enorm viel Geld investiert worden ist, denn Durango lebt bis heute zum Teil von der Filmindustrie und der gesamte Bundesstaat trägt nicht ohne Grund den Spitznamen „Tierra del Cine“.

In der Stadtmitte die Plaza de Armas

mit der barocken Kathedrale, der Basilica Menor, aus dem 17. Jahrhundert. Diese gilt nicht nur als eine der schönsten Nordmexikos, es rankt sich auch eine traurige Legende um sie, die von Beatriz erzählt, einer jungen Frau, die sich entschloß Nonne zu werden, als der Geliebte nicht aus dem Krieg zurückkehrte, die die Hoffnung auf seine Rückkehr jedoch nie aufgab und seither im Mondlicht auf dem linken Turm der Basilika auf ihn wartet.
Basilica Menor:

Spannend auch die Geschichte des Gebäudes rechts neben der Kathedrale, in dem sich eine Filiale der Kaufhauskette Soriana niedergelassen hat. In dem ehemaligen Hotel wurde bei den Umbauarbeiten vor einigen Jahren ein Schatz gefunden, der die halbe Stadt in einen wahren Goldrausch versetzte. Überall wurde gegraben und gesucht, aber leider blieb es bei dem einen Fund.
Obwohl wir uns in der Altstadt befinden, gibt es hier nichts Verwinkeltes. Die Stadt ist schachbrettartig angelegt, mit rechtwinklig verlaufenden Straßen nach amerikanischem Vorbild. Die Straßen sind breit, die Fußwege schmal, dennoch gibt es kaum Rempeleien, auch vermisse ich nach wie vor die schießwütigen Schnauzbärtigen. Eher das Gegenteil ist der Fall, Männer lassen Frauen grundsätzlich den Vortritt und weichen automatisch aus. Auch auf dem kleinen Gomez Palacio-Markt kein Geschubse, man geht sehr höflich miteinander um. Der Skorpion ist Durangos Wappentier und den kann man hier kaufen, in allen Formen, Größen, aus allen Materialien. Auch echte präparierte Tiere gibt es, als Kühlschrankmagneten oder Briefbeschwerer.
Zum mexikanischen Straßenbild gehört Dr. Simi! Er repräsentiert die Farmacias de Similares, die, wie der Name schon sagt, Nachahmer-Medikamente vertreiben, also sowas wie Ratiopharm. Vor jeder der zahlreichen Filialen steht er und tanzt. In dem dicken Kostüm müssen tanzfreudige Menschen mit stabilem Kreislaufsystem stecken, denn die Dr. Simis sind ständig in Bewegung. Die Passanten nehmen den kugelrunden weißen Kerl und seine Veralberungsversuche mit Humor, manche lassen sich selbst sogar zu einer kurzen Tanzeinlage animieren.
http://www.youtube.com/watch?v=QOOMYBgyLAU
Nach Einbruch der Dämmerung füllt sich die Plaza de Armas mit Menschen. Man sitzt auf den Bänken, ißt Eis oder Zuckerwatte. Wir gehen in die kleine Fußgängerzone, die seitlich an der Kathedrale vorbeiführt und warten auf Beatriz‘ Erscheinen. Es ist fast Vollmond und wir werden nicht enttäuscht.
Auch wenn Totenkult und Geisterglaube unter Mexikaner sonst weit verbreitet sein mögen – meine Begleiter erweisen sich als echte Pragmaten. Natürlich sei es nur das durch die Arkaden des Turms einfallende Mondlicht, das die optische Täuschung einer Frau im Ornat auf dem Turm erzeuge. Dennoch hatte der nächtliche Moment trotz des Trubels um uns herum etwas merkwürdig Mystisches, denn die Erscheinung war tatsächlich überraschend deutlich. Besser zu sehen als auf meinen Fotos ist es hier (Nonne ungefähr bei 1:30):
http://www.youtube.com/watch?v=JZAZ6PN0FG4
Abendessen gibt es heute im „Las Corridas“. Mit mexikanischem Essen werde ich in der nächsten Zeit noch ausgiebig Bekanntschaft schließen und Empanadas von Enchiladas zu unterscheiden lernen, aber so etwas ist eher „Alltagskost“ für zwischendurch. Heute gibt es Gegrilltes. Alle bedienen sich gemeinsam von einer heißen Platte, die verschiedenen Fleischsorten sind sehr mager, zart und würzig mariniert. Ich befürchte zunächst, daß es mir zu scharf sein könnte, aber das ist nicht der Fall. Die Schärfe gibt man selbst hinzu durch grüne und rote Salsas, die gesondert gereicht werden, aber nach vorsichtigem Probieren muß ich hier kapitulieren. Nach dem Essen, das ohnehin spät beginnt, sitzt man noch lange am Tisch. Ich kann Spanisch lesen, sehr langsam allerdings, und auch einige wenige Worte sprechen, aber verstehen kann ich hier rein gar nichts. Alle sprechen schnell und meine Freundin muß unentwegt übersetzen.
Der Drogenkrieg, der das Land seit 2006 überzieht, ist immer wieder Gesprächsthema. Nicht alle halten es für gut, daß er überhaupt begonnen wurde. Solange sich das mexikanische Drogenkartell unter Kontrolle des mächtigsten Bosses Joaquin Guzmán befand, habe wenigstens Ruhe geherrscht. Nach seiner Verhaftung sowie einiger anderer mächtiger Drogenbosse hätten die Probleme erst richtig begonnen. Die Versuche, das entstandene Machtvakuum zu füllen, führten zu den unzähligen gewalttätigen Auseinandersetzungen und immer wieder auch Massenhinrichtungen, bei denen sich nicht nur das organisierte Verbrechen untereinander, sondern gleichzeitig auch mit der zahlenmäßig weit unterlegenen Polizei und dem Militär bekriegt und die ihre Auswirkungen auch in der Zivilbevölkerung haben.
Andererseits sei es auch nicht mehr länger hinnehmbar gewesen, daß Mexiko als Grenzland der USA vom gesamten lateinamerikanischen Kontinent als Korridor für den Drogenschmuggel mißbraucht worden sei, und so sei der Kreuzzug des Präsidenten gegen das organisierte Verbrechen eine Notwendigkeit.
Mir sind diese ambivalenten Gedankengänge nicht ganz fremd, in meiner Heimatstadt ist das Rotlichtmilieu schon seit einigen Jahren unter Kontrolle der Hells Angels – mit Duldung der Polizei, die der fortwährenden Machtkämpfe verschiedener ausländischer Gruppierungen nicht mehr Herr wurde. Manch einer ist der Meinung, seither sei wenigstens äußerlich Ruhe und es lägen des Morgens keine toten Türken mehr auf der Straße. Ob es aber nun richtig ist, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben, ist eine andere Frage, die man weder hier noch dort so ohne weiteres wird lösen können.
Die ernsten Themen bleiben mit dem Auftauchen der ersten Getränke dann aber auf der Strecke. Nicht nur zu Jubiläumsfeierlichkeiten trinkt man gern Bandera. Drei kleine Schnapsgläser, gefüllt mit Limonenlikör, der die grüne Farbe der mexikanischen Flagge symbolisiert, in der Mitte Tequila für das Weiß und rechts ein Glas mit rotem Sangrita. Das darf man je nach Laune nacheinander oder munter durcheinander trinken. Keinesfalls ist es üblich, den Inhalt eines Schnapsglases, so wie in Deutschland, einfach in einem Zug hinunterzukippen. Die Mischung aus dem süßen Likör, dem eher geschmacksneutralen Tequila und dem würzigen Sangrita ist lecker und so wehen einige Banderas über unseren Tisch hinweg. Wer es weniger süß mag, kann Sangrita und Tequila auch mischen, das gibt dann fast eine Bloody Mary, heißt aber Vampiro und ist seit einigen Jahren Modegetränk.
Ein weiteres, vor allem bei jungen Leuten angesagtes Getränk ist Michelada, ein Mixgetränk aus Bier, Soja- und Worcestersoße, Tabasco und Maggi. Ich will das zunächst nicht glauben und stelle mir den Geschmack einfach grauenvoll vor. Später werde ich noch Gelegenheit haben, es zu probieren und feststellen… daß ich Recht hatte.
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