Wir werden von Kirchengeläut geweckt und genießen zum letzten Mal das Frühstück in dieser schönen Kolonialstilanlage mit Blick auf den mächtigen Brotfruchtbaum. Wer von dieser Frucht ißt, so sagt man, kommt wieder.
So lebendig es gestern in La Passe war, so verträumt ist heute die sonntägliche Ruhe. Kaum jemand ist auf der Straße. Um zehn Uhr kommt Danny mit seinem Ochsenkarren und bringt uns die wenigen Meter bis zum Helikopter.
„Unser“ Hubschrauber kommt gerade von einem Rundflug über Praslin zurück, so können wir die Landung beobachten. Dann legt uns Sabrina von Helicopter Seychelles Rettungswesten anund verstaut unser Gepäck. Sprechgarnituren auf die Ohren, und schon hebt sich der Heli nahezu unmerklich vom Boden. Der Abschied von La Digue fällt uns schwer.
Helikopter fliegen nicht, sie schweben. Es kommt mir vor, als zöge jemand uns an einer Schnur über den tiefblauen Ozeanteppich unter uns, so ruhig und gleichmäßig ist der Flug. Es ist ein etwas diesiger Tag, die Übergänge zwischen Meer und Himmel sind fast nicht auszumachen, die ganze Palette Blau liegt uns zu Füßen. Rechter Hand passieren wir Praslin, zielstrebig surrt der Heli durch die Luft. Beim Landeanflug haben wir einen wunderbaren Blick auf weite Teile von Mahés Osten und die vorgelagerten Inseln und Inselchen, die wir liebevoll „Steinhaufen“ getauft haben. Dann die Landung. „Trifft er das große H?“ – Er trifft. Mahé hat uns wieder. Der ganze Spuk hat 25 Minuten gedauert, aber dieses Panorama werden wir noch lange in Erinnerung behalten.
Verbunden mit diesem Flug ist ein Hauch von Luxus, denn wir stehen ja schließlich nicht mit anderen in einer Schlange, sondern werden ganz persönlich bedient und so nun auch von einem kleinen offenen Flughafen-„Busjen“ abgeholt. Um unser Gepäck brauchen wir uns nicht zu kümmern, das bringt ein Mitarbeiter zum Taxi.
Die Fahrt geht nach Süden, zu Chez Batista. Wir blicken gespannt aus den Fenstern. Hier ist alles größer und lebhafter. Die Straßen sind breiter und haben sogar einen Mittelstreifen. Die Bushaltestellenhäuschen sind geräumiger, die Strände, die wir von der Chaussee aus sehen können, scheinen weitläufiger. Es ist Sonntag, viele Menschen sind unterwegs, ab und zu Gewimmel in der Nähe einer Veranstaltung. Selbst die zahlreichen Hibiskusblüten, welche die Räume unseres neuen Domizils schmücken, scheinen größer.
Von dem Gästehaus an der Anse Takamaka sind wir angenehm überrascht. Sicher, die Anlage könnte gepflegter sein, etwas weniger Kuddelmuddel. Unser Standard-Appartement ist klein und gemütlich. Die beiden offenen, mit Palmenblättern gedeckten Restaurant- und Barsäle jedoch sind wirklich ansprechend und direkt am Strand gelegen. Von den Stränden, die wir bisher gesehen haben, ist dies einer der schönsten. Eine Baustelle ist tatsächlich vorhanden, aber es ist Sonntag, und ob uns die Bauarbeiten stören werden, können wir heute noch nicht beurteilen.
Nach einem Begrüßungscocktail laufen wir die kurze Strecke zur Hauptstraße und steigen in den Bus Richtung Baie Lazare. Mitten auf der Straße wäscht ein Seychellois seinen Wagen und gibt uns freundlich Auskunft über die Abfahrtszeiten. Später stellen wir fest, daß hier ein Bachlauf den Einheimischen sozusagen als Waschstraße dient. Insgesamt sind die Menschen ein bißchen distanzierter, aber nicht weniger hilfsbereit oder gar unfreundlich. In Baie Lazare sitzen wir in dem unscheinbaren, eher kargen Harveys Café. Der Thunfischsalat und der Salat Harwey sind köstlich und nicht teuer, auch die Hamburger, die am Nachbartisch serviert werden, sind riesig und sehen lecker aus. Nachdem wir unseren Getränkevorrat bei einem Inder ergänzt haben, fahren wir mit dem Bus zurück und genehmigen uns ein ausgiebiges Mittagsschläfchen. Unsere Siesta wird bewacht von einer rehfarbenen Mischlingshündin, die uns treuherzig begrüßt. Schließlich liegt sie auf unserer Terrasse und döst entspannt in der Mittagshitze.
Den Sonnenuntergang verbringen wir an der Anse Takamaka. Danach packen wir „die Straßenbeleuchtung“ in den kleinen Rucksack und laufen zum Restaurant Le Reduit. Es ist schon dunkel, als wir ankommen. Die Tische sind einladend gedeckt, und die Karte bietet alles, was wir uns unter kreolischer Küche vorgestellt haben. In den Restaurants auf den Seychellen fühle ich mich immer einen Moment lang "wie bei der Oma“, denn die Bedienung legt, wenn sie die Speisekarte bringt, immer ganz fürsorglich die Serviette auf den Schoß des Gastes. Mein Mann entscheidet sich – wieder einmal – für Red Snapper, ich probiere Pawn garlic. Einfach delikat. Wir krönen dieses leckere Mal mit Dessert und Cocktail und freuen uns während des Verdauungsspaziergangs nach Hause schon auf den Mietwagen, mit dem wir morgen auf Entdeckungstour losziehen werden. Begleitet werden wir von dem zeternden Radau der Flughunde. Wir sitzen noch ein wenig draußen und lauschen dem Tosen der Brandung. Morgen wartet Mahé.


Montag, 29. Mai
Das Frühstück bei Batista ist lecker und durch die Aussicht auf die Anse Takamaka etwas ganz besonderes. Zum Auftakt eines Tages direkt am Indischen Ozean zu sitzen, ist einfach schön. Mein Mann bestellt sich ohne zu fragen (= ohne Dolmetscher) einen Pfannkuchen. Eigentlich kann ich Frühstücksbuffet im Urlaub nicht leiden, möchte lieber bedient werden. Aber hier macht es Spaß, die Marmeladen sind lecker, von den Früchten, die am besten schmecken, nimmt man einfach ein wenig mehr. Wir sind zufrieden und auch ein wenig erleichtert, daß uns auch dieses letzte Domizil gefällt und unseren Ansprüchen gerecht wird.
Dann kommt der Mietwagen. Keine viertel Stunde später brettert meine bessere Hälfte über die Insel, als hätte er nie etwas anderes getan. Ich glaube fest, daß es mir als Beifahrer schwerer fiel als meinem Chauffeur, aber schließlich saß er ja auch nicht auf der Seite, auf der es teilweise einfach nur noch abwärts geht.
Wir passieren Baie Lazare, die Anse à la Mouche und die Anse Boileau. Auf einmal ist die Küstenstraße weg. Wir geraten auf eine schmale Straße, schließlich auf einen Feldweg und landen vor einem Tor. Steht ja auch deutlich in der Karte. Daß ich in einer ganz anderen Region war, dafür kann der Verlag ja nix. Also drehen und zurück. Im Nachhinein ist dies aber nicht schlimm, sondern eher ein Glücksfall, denn hier entdecken wir den ersten „Nichtschwimmerstrand“, wo auch ich mich gefahrlos und ohne ein lästiges Anhängsel für den mit mir verheirateten Wasserfloh zu sein, in den Indischen Ozean traue. Dies aber später.
Zunächst fahren wir auf der Sans-Soucis, einer kurvenreichen, wunderschönen Strecke mit herrlicher Aussicht auf den Westen der Insel. Trocken meint mein Mann in Anbetracht der Übersetzung „Sorglos“, ein Fahrschüler würde angesichts dieser Steigungen und Serpentinen sicherlich jede Menge Sorgen haben. Leider gibt es nur wenige Möglichkeiten, mal für ein paar Minuten auszusteigen und die Aussicht zu genießen. Dann erreichen wir Viktoria. Mittagszeit. Die Schulkinder, die Mädchen mit ihren rot-weiß karierten Latzröcken auf weißen Blüschen, schwirren durch die Straßen, haben sich für die Pause einen gekühlten Fruchtsaft oder eine kleine Mahlzeit gekauft. Wir schlendern durch die Market Street. So viele Menschen.
Dann der Markt. Es ist zwar zu spät für den wirklichen Markttrubel, wir sind dennoch beeindruckt von den Farben, den Gerüchen, dem Stimmengewirr. Auf dem türkisblauen Wellblechdach sitzt ein Reiher und wartet darauf, den Magen mit den Fischabfällen zu füllen. Wir wechseln schnell noch Geld und werfen einen Blick auf den Clock-Tower. Danach fahren wir weiter nach Norden. Bei Anse Etoile machen wir einen kleinen Schlenker auf eine „gelbe“ Straße, wo wir durch eines der zersiedelten Wohngebiete am Ortsrand von Viktoria fahren bis zum Stausee, danach die Küstenstraße weiter bis Beau Vallon. Ein kurzer Halt bei einer kleinen Dorfkirche mit einem Friedhof. Auch in diesem kleinen Gotteshaus haben die Heiligen einen eigenen Ventilator. Schöne Muscheln dienen als Weihwasserschalen. Schlicht und farbenfroh, munter und hell, kein Brimborium, kein Schnickschnack. Vor der Kirche sitzen einige Seychellois auf der Treppe und halten Dorfplausch.
Im Boabab teilen wir uns eine Pizza als Mittagszwischenmahlzeit und fahren über Victoria zurück an den Nichtschwimmerstrand in Port Launay. Es ist nicht besonders voll, wir schwimmen ein bißchen und ruhen uns im Schatten aus, laufen am Strand entlang, der Sand ist so weich. Die neue Bewegungsfreiheit mit dem Mietwagen ist angenehm, man muß nichts mehr mitschleppen, sondern schmeißt morgens einfach alles in den Kofferraum, was man vielleicht brauchen könnte.
Am Abend essen wir im Chez Plume an der Anse Boileau. Da das Restaurant noch nicht offen ist, sitzen wir mit einer Cola und einer Mangolimonade eine Weile auf der kleinen Mauer am Ufer und beobachten eine Vielzahl recht großer Krebse (oder Krabben?), teilweise mit Bausparvertrag. Die emsigen und unermüdlichen Bauarbeiten der Tierchen im Sand zu verfolgen – da vergeht die Zeit rasch. Das Essen ist lecker. Abends bleiben wir auf der Terrasse, das Schachspiel, das in jedem anderen Urlaub zu unserer Abendbeschäftigung gehört, bleibt auch heute unangetastet.


Dienstag, 30. Mai
Am Morgen fahren wir an der Ostküste entlang nach Viktoria. Auf dem Weg überholen wir einige Soldaten, die offenbar an einer Militärübung teilnehmen und am Straßenrand entlang rennen – und das bei diesem Wetter.
Der Botanische Garten ist eine der wenigen Enttäuschungen in diesem Urlaub. Wir hätten eben doch besser auf die Forumsbeiträge hören sollen. Vielleicht muß man mehr botanisches Vorwissen mitbringen als wir dies tun: Wir jedenfalls können diesem kleinen Park nicht viel abgewinnen. Sicher, es gibt schöne Palmen unterschiedlichster Art und auch viele Blüten und Fruchtdolden zu begutachten. Was uns gefällt, ist der Duft in der Luft von Blüten und einem Ylang-Ylang. Hier riecht es wirklich wie in einer Parfümerie aus 1001 Nacht.
Wir bummeln kurz durch Viktoria, um endlich unsere Postkarten auf die Reise zu bringen. Irgendwie ist die Post nicht da, wo sie nach unserem Plan sein soll. Wir fragen einen Einheimischen. Leider verstehe ich seine mehr oder weniger französische Antwort so gut wie gar nicht (an meinem Französisch liegt das nicht!). Jedenfalls sind wir wohl gar nicht in der Nähe der Post. Der Mann blickt prüfend in mein hilfloses Gesicht und geht dann, obwohl er in eine ganz andere Richtung unterwegs war, über Schleichwege voraus. Wir kleben die farbenfrohen Briefmarken auf unsere Urlaubsgrüße. Ja, es gibt immer noch Bekannte und Verwandte, die keine E-Mail-Adresse haben. Fast schon nostalgisch, finde ich, sind die Postkarten immer noch schöner als eine Mail.
Der buddhistische Tempel wird leider gerade renoviert und ist hinter einem Gerüst mit Baunetzen verborgen. Im ersten Stock des Markts trinken wir einen Kaffee. Auf dem Rückweg zum Parkplatz kaufen wir für ein paar Rupien einige Teigtaschen, „Wundertüten“, da man nie genau weiß, was darinnen ist.
Wir fahren nach Beau Vallon zum Coral Beach Hotel. Nicht, daß ich etwas gegen diese Form des Urlaubs habe (wer sich hier aufhält, stört mich schließlich woanders nicht). Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß ich tagein, tagaus vom Hotelbett in die Strandliege umziehe, mich in der Sonne aale, Bücher lese und alles, was sich ringsherum bietet, nicht kennenlernen will. Wir beide warten hier auf den Start von Teddys Glasbodenboot.
Es wird eine herrliche Tour auf diesem Boot. Ich hab’s probiert, aber ich kann mich mit dem Schnorcheln nun mal nicht anfreunden. Insofern ist diese Tour für mich ein guter Ersatz. Teilweise weiß man gar nicht, wo man hingucken soll, ob nach unten ins Wasser oder auf die herrliche Küstenkulisse. Vorbei an der Anse Major geht es Richtung Baie Ternay. Auf dem Weg dorthin starren wir gebannt durch die Glasbodenrechtecke, die von den Mitarbeitern, obwohl sie wirklich nicht schmutzig sind, mehrmals sorgfältig gereinigt werden. Allein auf der Strecke bis in die Bucht sehen wir neben den gewöhnlichen, blau leuchtenden Gubbys und anderen Fischen in allen Schattierungen einige Trompetenfische, Korallen, einen Schwarm junge schwarze Rochen – auf dem Rückweg noch einen einzelnen hellgrauen mit dunklen Tupfen – Zebrafische und fünf Wasserschildkröten. Ich bin begeistert, mag mich gar nicht satt sehen und lauere immer wieder auf den nächsten Bildausschnitt.
In der Baie ist eine Stunde Schnorcheln angesagt. Mein Mann ist sofort im Wasser – erzählt jedoch hinterher, daß die Ausbeute und damit die Eindrücke bei St. Pierre größer gewesen seien. Ich bleibe mit ein paar anderen an Bord, und wir füttern Fische, die eben immer kommen, mit Brötchen. Mit auf dem Boot ist eine indische Familie mit einem behinderten Jungen, der im Rollstuhl an den Strand gebracht und ins Boot gehoben wurde.
Auf der Rückfahrt machen wir eine kurze Rast an einem kleinen, vom Land aus unzugänglichen Strand mit einer Lagune. Dann geht es, vorbei an dem wilden Küstenpanorama Nord-Mahés zurück zum Coral Beach Hotel. Es war ein toller Ausflug.
Am Abend wartet im Strandrestaurant Chez Batista gegrillter Red Snapper und Thunfisch Steak, serviert mit einem leckeren Salat, zwei verschiedenen Soßen – einfach saftig und köstlich. Nach dem Dessert haben wir uns noch einen Cocktail bestellt, der in roten Kokosnüssen angerichtet wird. Traumhaft, an diesem schönen Erdenflecken zu sitzen, im Hintergrund das Getöse des Indischen Ozeans und vor uns auf den Tellern kreolische Gerichte. Das Essen auf Mahé ist wirklich eine Wucht.


Mittwoch, 31. Mai
Ein Start in den Tag mit einem Frühstück an der Anse Takamaka ist immer ein guter Start. Die Früchte so frisch, die Pfannkuchen und Eierspeisen werden direkt am Buffet zubereitet. Im Hintergrund das Rauschen des Ozeans, der insbesondere, wenn die Wogen auf die Granitfelsen am Ende der Bucht klatschen, ein grandioses Schauspiel bietet.
Wir erledigen noch einige Formalitäten. Dann fahren wir über Quatre Borne die Ostküste entlang und suchen nach der Zufahrt zum Jardin du Roi. Eine Seychelloise, die ihren Einkauf nach Hause schleppt, gibt uns freundlich Auskunft und erkundigt sich auch gleich, ob die Seychellen schön seien und nicht zu teuer. Ein kleiner Plausch zwischen Mietwagen-Beifahrerfenster und Straßenrand. Die Schilderungen von äußerst zurückhaltenden, gar unfreundlichen Inselbewohnern konnten wir nicht einen Tag lang bestätigen. Wir finden die kleine Straße, die steil bergauf geht. Oben angekommen, diesmal eine richtige Dame. Ja, auch zum Gratte Fesse können wir hier wandern. Zunächst schlendern wir durch den schön angelegten, gepflegten Garten, betrachten die Alpinia, den grünen Pfeffer, Kaffee und Vanille. Ganz hinten geht ein Pfad in den Wald, fast nicht zu erkennen – eigentlich nur an den Seilen, die als Handläufe das erste steile Stück säumen. Wieder klettern wir tapfer bergan, nehmen die hohen natürlichen Stufen über Gestein und Baumwurzeln, gottseidank vor der Sonne geschützt durch ein dichtes Blätterdach. Der Vorausgehende beseitigt unwillkürlich zahlreiche Spinnengewebe, wirklich große Spinnen kommen uns nicht zu Gesicht. Auf vermuteter halber Höhe wollen wir eine Rast einlegen. Ein geeignetes Plätzchen ist entdeckt. Ich mache einen letzten Schritt über einen Stein, peile ein laubbedecktes Plätzchen für meinen rechten Fuß an und … trete in ein Loch. Passiert ist nichts. Ich bin nur erschrocken.
Wir achten noch genauer darauf, wohin wir unsere Füße setzen und auch darauf, woran wir uns festhalten, denn einige Stämme sind mit langen Stacheln versehen. Zwischendrin wird es ein kleines Wegstück lang fast eben, dann geht’s wiederum steil aufwärts. Warum nur hat niemand etwas von Bergwandern berichtet? Das Blätterdach lichtet sich. So weit kann es nicht mehr sein.
Und dann kommt sie, die Belohnung. Ein kleines ebenes Fleckchen zum Stehen, ein runder Stein wie ein Naturthron, hier hat man einen wunderbaren Blick auf die südliche Ostküste Mahés, eine kleine Dorfkirche, die Bergmassive im Inselinneren. Noch wenige Meter höher blickt man sogar auf der anderen Seite herunter auf eine Bucht im Westen. Die Kraxelei hat sich gelohnt. Wir lassen unsere Augen und das Objektiv des Fotoapparats schweifen. Der gefürchtete Rückweg wird in den Köpfen kürzer und ungefährlich. Es ist schön.
Der Rückweg ist tatsächlich kürzer. Liegt es nur daran, daß es bergab geht, oder wirken die Wege immer kürzer, wenn man sie kennt? Ohne Zwischenfälle erreichen wir den Jardin du Roi, besichtigen dort noch ein kleines familiäres Museum, in dem uns vor allem ein wunderschönes Schiffsmodell mit filigranen Takelagearbeiten fasziniert. Auch die alten Landkarten von Mahé, die zwischen antikem Mobiliar gerahmt an den Wänden hängen, neben alten Fotographien und Zeitungsausschnitten, sind interessant. Eine der Karten aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts ist so eine Art Grundstücksbesitzplan, wo man genau erkennen kann, wie die Gebiete um die unwegsamen Bergregionen herum in geometrische Zellen aufgeteilt waren. Selbst die Namen der Besitzer sind zu lesen.
Wir verabschieden uns und fahren, diesmal nicht über die Schnellstraße, sondern über die alte Straße, Richtung Viktoria. Auf dem Weg machen wir einen kurzen Halt an der Kirche St. Thérèse in Cascade. Wie überall in den Kirchen ein schlichter Stil, die Vierzehn Leiden Christi in bescheidenen Holzrahmen an den Wänden des Kirchenschiffs plaziert. Die Küsterin grinst bis zu den Ohren, findet mein Mann, und läßt sich gerne auf ein Schwätzchen mit uns ein. Vorbei an der Seybrew-Brauerei landen wir wiederum in dem Hauptstädtchen. Mein Chauffeur kennt sich mittlerweile gut aus, lenkt den Wagen selbstbewußt und ruhig durch den Mittagsverkehr. Wir schlendern zum Pirate Arms. Es ist richtig, man muß mal dort gewesen sein, allein wegen der 22 Ventilatoren, die von der Decke hängen und dem gut besuchten großen Raum mit dem lebhaften Geschwätz in verschiedenen Sprachen eine angenehme Temperatur geben. Die Sandwiches, die wir bestellen, sind lecker und reichlich.
Schließlich starten wir zum Neuen Hafen, wo wir die seychellischen Feuerwehrkameraden besuchen. Es entsteht ein bißchen Wirrwarr, als wir eintreffen, denn Monsieur Morel, mit dem wir per E-Mail geschrieben hatten, ist nicht da. Ein junger Fire-fighter zeigt uns die Fahrzeuge. Die Unterschiede zu unseren sind nicht allzu gravierend. Insgesamt jedoch sind wir erstaunt über die bescheidene Ausstattung. Erklärungen in Englisch und Französisch gehen hin und her, zum Schluß überreichen wir unsere kleinen Mitbringsel und fahren winkend davon.
Auf dem Rückweg das Vilaz Artizanal, eine schöne Anlage mit Häusern im alten Stil, auch hier ein kleines Museum, wo wir Einrichtungsgegenstände von anno dazumal besichtigen können, die Dächer mit ausgesägten Holzarbeiten verziert, die beim richtigen Stand der Sonne doppelt schön aussehen, denn dann werden die filigranen Umrisse durch ihren Schatten verdoppelt. Das Angebot eher touristisch. Schließlich treffen wir auf eine Werkstatt, in der mit traditionellen Techniken wunderschöne Schiffsmodelle hergestellt werden. Im ersten Raum sitzen die Frauen und arbeiten an den Seilen und Segeln, im Nebenraum werkelt ein Schreiner an den Schiffsrümpfen. Stundenlang könnte man zuschauen.
Wir fahren weiter Richtung Süden und begutachten die Anse Intendance und die Anse Bazarca. Abgesehen davon, daß hier an Schwimmen gerade nicht zu denken ist, finden wir’s nicht eben sauber. Überall liegen Plastikflaschen und anderer Müll. Nun gut, dann eben zurück an unsere Anse Takamaka.
Bis nach Sonnenuntergang genießen wir diesen schönen Strand. Neben uns spielen einige Buben Fußball. Zur Abkühlung rennen, purzeln, manchmal mit kleinen akrobatischen Einlagen, sie immer wieder in die Wellen des aufsteigenden Wassers. Bilden eine Reihe und lassen sich mit der nächsten Woge und viel Gequietsche bäuchlings auf den Strand tragen. Zu unserer Rechten sinkt die Sonne ganz allmählich auf die Felssilhouette nieder. Das Wasser kräuselt sich wie federleichte Seide in blauen, silbernen und goldgelben Tönen. Neben all der Verzückung beschleicht uns, was wir ganz schnell verdrängen, der Gedanke, daß uns nur noch wenige Tage bleiben.


Donnerstag, 1. Juni
Wir haben uns im Reiseführer eine Wanderung ausgewählt, die sich nicht allzu anstrengend und lang anhört und fahren zur Tea Taverne, um von dort aus den Morne Blanc (677 m) zu besteigen. Zugegeben, im Buch steht ausdrücklich „Besteigung“, und es gibt vermutlich jede Menge Wanderer, die jünger oder sportlicher sind als ich oder gar beides. Bis zu diesem Tag habe ich meinen Mann morgens oft gefragt: „Sitzt der Herr Därr schon im Auto?“, damit wir unseren liebgewordenen Reiseführer nicht vergessen. Heute kann ich den guten Freund gar nicht mehr leiden. Wo bleibt denn nur die ebene Wegstrecke, die diese Wanderung auch für Ungeübte so einladend macht? Ich fluche. Über schattige Waldpfade geht es steil bergauf. Zwischen Blättern in allen Grüntönen und Formen geht es steil bergauf. Über bemooste Felsrundlinge, es geht steil bergauf. Freundlicherweise steht auf der Hälfte der Strecke ein Schild „500 m“ mit einem Pfeil darunter, steil bergauf. So kann ich mir den kümmerlichen Rest meiner Kräfte einteilen. Mein Mann stapft wie immer unverdrossen vor mir her. Ich fluche.
Oben von einer Aussichtsplattform aus haben wir einen genialen Blick über die Westküste von der Baie Ternay bis zur Anse à la Mouche. Es ist grandios. Wir bleiben lange hier oben, drehen den Kopf nach rechts und nach links und wieder nach rechts. Unter uns kreisen elegant die Weißschwanz-Tropikvögel (auweia – hoffentlich ist diese Bezeichnung richtig und ich bekomme keine Drohbriefe von Ornitologen!), der Kontrast der enormen bewaldeten Berghänge zu dem lichten Türkis und Blau des Ozeans fasziniert.
Zur Belohnung für die Mühsal der Wanderung essen wir im Rendez-Vous in Viktoria Red Snapper und einen Meeresfrüchte-Gratin, kaufen noch einige CDs und erfrischen uns anschließend an meinem Lieblingsstrand in Port Launay. Die seichte Bucht ist Balsam für meine müden Knochen. Von unten sehen wir das Ziel unserer Wanderung vom Vormittag und bekommen einen Eindruck von den Höhenmetern, die wir überwunden haben. Dann decken wir uns beim Inder mit Knabbergebäck und Käse ein. Mein Mann hat sich mittlerweile dem allgemeinen Fahrstil angepaßt. Im Süden finde ich es etwas gewöhnungsbedürftig, die Gräben statt der Fahrbahnbegrenzung, ständig muß man darauf gefaßt sein, daß Fußgänger oder Hunde aus dem Nichts auf die Fahrbahn laufen, meistens in genau dem Augenblick, wo ein vollkommen rücksichtsloser Tata-Busfahrer entgegenkommt und bereits mehr als die Hälfte der ohnehin engen Fahrbahn einnimmt. Vor uns fährt ein Kleinlaster mit offenem Laderaum. Ein Seychellois steht aufrecht auf der Ladefläche. Das ist hier nicht ungewöhnlich. Oft sieht man Pick-ups mit mehreren jungen Männern, die sich stehend irgendwo festhalten und den Fahrwind genießen. Auch der dunkelhäutige Geschickte vor uns hält sich mit der einen Hand fest, der Wagen fährt wirklich nicht langsam. Mit der anderen Hand umklammert der Mann hartnäckig das Horn einer Ziege, die verzweifelt Balance in die ungewohnte Lebenssituation zu bringen versucht.
Wir verbringen friedliche und erholsame Stunden auf unserer kleinen Terrasse. Im Hintergrund donnert der Ozean wie ein Gewitter. Noch immer können wir das Geräusch eines Regengusses nicht unterscheiden von dem Rauschen der Palmwedel, wenn abendliche Windboen in die Palmengipfel fahren. Wir blicken besorgt in den Frangipanibaum, wo ich meine bis heute morgen noch saubere Shorts zum Trocknen aufgehangen habe. Nach einem kleinen Rutsch auf dem Hosenboden beim Abstieg vom Morne Blanc mußte nun doch noch Rei-in-der-Tube ran!


Freitag, 2. Juni
Seit ein paar Tagen summt mein Mann beim Frühstück zufrieden und fröhlich vor sich hin und futtert wie ein Scheunendrescher. Es ist aber auch herrlich, dieses Frühstücksambiente. Wenig später trällert Philippe Toussaint im Segarhythmus aus dem Autoradio. Wir fahren noch einmal nach Cascade. An der Kirche biegen wir ab und fragen einen jungen Rasta nach dem Wasserfall. Ja, die Richtung stimmt, aber: „There’s no water in the waterfall!“ Na gut, dann disponieren wir eben um, kaufen in Victoria noch einige Mitbringsel und Vanille. Wir bummeln am Hafen entlang und bestaunen verblüfft und amüsiert das Verlademanöver von einigem Hausrat und unzähligen Kisten auf einem Kahn. Ein Umzug? Eher ein buntes Sammelsurium von Transportgut, das für eine der kleineren Inseln bestimmt ist. Mehrere Kartons Cheddarkäse warten in der Mittagshitze. Es ist ein farbenfrohes Durcheinander wie wohl an jedem Hafen, nebenan wird mit einem Lastkran eine riesige Kabeltrommel verladen. An einem Take-away hat sich eine Schlange gebildet, es ist Mittagszeit, die kleine Wirtschaft direkt am Pier bietet zum Einheitspreis von 55 SCR allerlei.
Wieder Richtung Süden. Kurze Rast im Kaz Kreol, wo ein erfrischender Wind weht und die in kräftigen Farben getünchten Fischerboote wie kleine bunte Kleckse im hellen Türkis schaukeln läßt. Schinken und Pilze unserer Pizza teilen wir mit einer jungen Katze, die uns nach dem ersten Leckerli nicht mehr aus den Augen läßt und mal rechts, mal links mit Erfolg bettelt.
Ganz unten im Süden steuern wir schließlich die Petite Anse Boileau an. Über eine Naturachterbahn, die gute Nerven erfordert, gelangen wir nach einem geschickten Lenkmanöver um eine behäbige Schildkröte auf ein gepflegtes Gelände mit den Ruinen einer ehemaligen Plantage. Hier ist es, bis auf den Pförtner und den Gärtner, wirklich menschenleer. Zum Schwimmen ist der Strand ungeeignet. Dafür jedoch spazieren wir am Fuße eines Palmenhains über kleine, runde Granitbrocken und endlich auf eine der in den Ozean hineinragenden Felsformationen. Grandios, der Anblick, der sich bietet, wenn kräftige Brecher mit Getose gegen die Felsen klatschen und in tausend wirbelnde Spritzer zerstäuben! Unzählige schwarze Krebse tummeln sich auf den Felsen, klammern sich dort fest. Im Hintergrund das gleichmäßig wiegende Grün der Palmen, nach Westen der Blick bis zur Pointe Police, das kleine Inselchen gegenüber von den Wogen umspült und vor uns immer wieder, immer wieder anders, wild, die stürmische Umarmung von Wasser und Stein.
Irgendwann brechen wir auf und kaufen auf dem Heimweg beim Inder in Quatre Borne noch einige EKU. Ein Pick-up mit Fischen auf der Laderampe parkt davor. Die eine oder andere Hausfrau, aber auch Männer, haben sich schon eingefunden und wedeln mit den Rupienscheinen. Der Fahrer zaubert aus einer Muschel einen sonoren, warmen Ton, fast wie ein Horn. Feierabendatmosphäre vor dem Krämerladen, einige kaufen Bier, andere kommen vom Bus und wollen nur zum Knabbern für den Fußweg nach Hause schnell ein Tütchen Mamouk für drei Rupien. Es ist wie ein bunter aufregender Film, all die Eindrücke. Nur wird der Rest der Filmrolle immer kleiner – am liebsten würden wir sie anhalten.
Am Abend sitzen wir erwartungsvoll im Islander an der Anse la Mouche und betrachten gespannt den Horizont. Es sieht nicht gerade nach einem vielversprechenden Sonnenuntergang aus, den wir uns für den letzten Abend eigentlich gewünscht hatten. Dafür übertrifft das Essen unsere Erwartungen. Auf dem Heimweg bleibt das unvermeidliche „Jetzt machen wir zum letzten Mal …“ nicht aus. Zum letzten Mal sitzen wir auf unserer Terrasse, zum letzten Mal kraulen wir unseren Hund hinter den Ohren, der sich vor einem kurzen, aber heftigen Regenschauer zu uns geflüchtet hat. Die Mondsichel, vor wenigen Tagen noch schmal und zierlich, hat einen dicken Bauch bekommen und leuchtet unbeirrt. Die letzte Nacht hüllt sich wie ein schützender Mantel um unsere Erinnerungen. Wenn wir morgen erwachen, bleiben uns nur noch Stunden.


Samstag, 3. Juni
Am Morgen kommt der Hund und hat seinen Freund mitgebracht. Vielleicht hätte mein Mann seinen Käse nicht mit ihm teilen sollen. Wir packen unsere Koffer und verfüttern den beiden Gesellen den Rest aus einer Kräckerpackung. Dann kommt der Abschied.
Entweder meint es der Urlaubsgott heute nicht so gut mit uns, ist vielleicht auch schon müde nach dieser anstrengenden Zeit. Oder er will uns den Abschied nicht so schwer machen. Zunächst finden wir den Einstieg zur Wanderung zum Mont Signal nicht, und irgendwie will uns heute auch keiner helfen. Die Tea-Factory ist verschlossen, und zu guter Letzt hat auch das noch das Café Anse Soleil Betriebsferien. Wir gehen noch ein letztes Mal im Indischen Ozean schwimmen und fahren dann zum Flughafen.
Ich bin froh, daß es schon dunkel ist, als wir Richtung Doha abheben, und ich mich nicht bei Tageslicht von den Seychellen verabschieden muß. Bei der Ankunft in Frankfurt hat uns die Wirklichkeit bei 12 Grad endgültig wieder. Nun sitzen wir hier, hören die seychellische Musik, blättern in den Fotos, in den Reiseführern und Prospektchen. Der Traum vom Paradiesurlaub im Indischen Ozean ist vorerst zu Ende. Aber wer weiß? Wir haben zwar nicht von den Brotfrüchten gegessen – trotzdem wird man diesen fürchterlichen Virus irgendwann auskurieren müssen – mit einer neuen Reise.

