Nachdem ich länger nicht zum Schreiben gekommen bin, will ich nun endlich den Mann vorstellen, der Gilbert Pool beim Verfassen der Haikus geholfen und außerdem zwei Bücher geschrieben hat, die man als wirkliche Literatur der Seychellen bezeichnen darf.
Abgesehen von einigen Menschen, die ich durch dieses Forum kennengelernt habe, betrachte ich den Autoren als die interessanteste Person, mit der ich durch meine erste Seychellenreise 2008 in Kontakt gekommen bin, und das liegt nicht zuletzt an seiner Lebensgeschichte, die so spannend ist, daß dafür eigentlich fünf Leben nicht reichen:
Glynn Burridge ist Engländer, der, im Iran aufgewachsen, als junger Mann Orientalistik studiert und nach Abschluß in den Iran zurückkehrt um als Übersetzer für Farsi und Englischlehrer in den Haushalt der Pahlavi-Familie einzutreten. Dort lebt und arbeitet, bis er 1978, kurz vor der Revolution, mit einem Neffen des Schah und dessen Familie den Iran verläßt um sich auf der den Pahlavis gehörenden Amiranteninsel d'Arros niederzulassen. Nachdem die Pahlavis nach und nach die Seychellen wieder verlassen, läßt er sich auf Mahé nieder, wird Mitarbeiter des STB, später als Long Time Resident eingebürgert und verarbeitet seine Erfahrungen und Erlebnisse aus 30 Jahren Seychellen später in seinem 2000 erschienen Buch
Voices
In 20 Kurzgeschichen streift Glynn Burridge so ziemlich alle Facetten des Lebens auf den Seychellen. Ich sage nicht ohne Grund "streift", denn die Geschichten sind teils recht (manchmal für meinen Geschmack zu) kurz, nehmen rasche Wendungen und haben oftmals ein völlig unvorhersehbares, überraschendes Ende. Was das Lesen zwar spannend macht, mich manchmal aber auch etwas unbefriedigt zurückließ, weil mir die Auflösung der Geschichten zu abrupt erschien. Liebenswert sind in jedem Fall seine humorvollen Schilderungen kreolischen Lebens, vor allem kreolischen Aberglaubens und des Kulturclashs, den europäische Touristen und Residents erleiden können, wenn sie sich mit diesem konfrontiert sehen. Was Glynn, wie eigentlich alle Engländer, gut beherrscht, sind detailreiche Schilderungen der Naturschönheiten, der üppigen Flora und des Ozeans, aber auch der Bedrohlichkeit der Naturgewalten, wie man sie vermutlich ganz besonders dann empfindet, wenn man plötzlich aus dem Leben im vorrevolutionären Teheran auf eine kleine Insel mitten im indischen Ozean katapultiert wird. Denn auch diesen Teil seiner Seychellenzeit läßt er nicht aus, wenngleich er diese Zeit mit sehr viel englischer Diskretion schildert und sich auf die rein pragmatischen Anforderungen, die das Leben auf d'Arros an die Exilanten gestellt hat, beschränkt. Keine richtigen Unterkünfte, keine sichergestellte Versorgung mit Lebensmitteln. Da nimmt man teil daran, wie Glynn, bis dato Übersetzer und Englischlehrer, sich im Schnellverfahren die Kenntnisse aneignen muß, um in Personalunion als Arzt und Zahnarzt von d'Arros zu praktizieren und man fragt sich, wie man selbst wohl damit umgegangen wäre.
Je nachdem wie alt man ist, hat man sicher eine mehr oder weniger konkrete Vorstellung vom Iran jener Zeit. Daß der Schah ein in weiten Zügen dikatorisches Regime geführt und sein Sturz sicher selbst verschuldet war (auch wenn ich nicht wissen möchte, wie viele Revolutionäre es später sehr bedauert haben, eine fundamentalistische Pfeife wie Khomeini an die Macht gesetzt zu haben), will ich gar nicht in Abrede stellen. Mein kindliches Bild des Iran jedoch wurde vor allem geprägt durch das mediale Interesse am traurigen Leben einer Soraya und später einer weniger unglücklichen Farah Diba. Iranische Frauen waren keine wandelnden Kleidersäcke, sondern Stilikonen, und iranische Männer wurden nicht per se als potentielle Selbstmordattentäter mißtrauisch beäugt, sondern galten für die Generation meiner Großmutter zumeist als nicht weniger attraktiv als Omar Sharif.
Es wäre sicher Jammern auf hohem Niveau, sich über das Leben auf einer Seychelleninsel zu beklagen, wenn die Alternative darin besteht, im Iran einen Kopf kürzer gemacht zu werden. Dennoch, die Vorstellung, wie diese Menschen, die sich bis dato sicher nicht zu knapp mit elitärem Zeug wie Pariser Mode, Großwildjagd und dem Mixen von Cocktails befaßt haben dürften, sich nun mit dem Zimmern einer Unterkunft, dem Fischen und dem Steuern eines Bootes bis zum St. Josephs Atoll arrangieren mußten, wie ihnen nach und nach die Erkenntnis gekommen sein dürfte, daß es keine Rückkehr auf den Pfauenthron mehr geben würde und daß sie in Zukunft anstelle des glitzernden Teheran von der unendlichen Weite des Ozeans umgeben sein würden, hat meine Phantasie lange Zeit immer wieder angeregt.
Es ist anzuerkennen, daß Glynn hier keine Einblicke im Stile eines "Butlers der Queen" abliefert. Und wenn meine zugegeben etwas voyeuristische Neugier auf eventuelle dschungelcampähnliche Situationen somit unbefriedigt geblieben ist, bleibt die Geschichte der Pahlavis auf d'Arros für mich die vielleicht faszinierendste Geschichte, die die Seychellen hervorgebracht haben.
Voices ist ein 300 Seiten umfassendes Softcoverbuch, inzwischen bereits in 2. Auflage erschienen bei Nighthue Publications. Man kann es direkt über
partners@seychelles.net bestellen oder, wenn nicht vergriffen, im Buchladen im Flughafen bekommen.
Es ist mit Schulenglischkenntnissen durchaus zu lesen, ein Wörterbuch ist aber nützlich.
Buch Nummer 2 bekommt jetzt gleich seinen eigenen Beitrag
