Ein letztes Frühstück in der Vanira Lodge und Abschied von unserer kleinen farnbewachsenen Kokosnuß. Haari, also korrekt natürlich Ha'ari, ist das tahitianische Wort für Kokosnuß.
Und Abschied von der Einsamkeit Tahiti Itis, heute noch katapultiert uns die Fähre dorthin, wo das Leben tobt, nach Mo'orea, wo nicht nur die Touristen, sondern auch die Tahitianer Urlaub machen und der Trubel kein Vergleich zu hier sein wird. Wir sind gespannt, auch auf unsere Unterkunft, die eine der günstigsten während der gesamten Reise ist.
Loïc holt uns pünktlich ab. Er will genau wissen, wie es war und freut sich, daß ich Matahi Drollet habe surfen sehen, natürlich kennt er den. Er erinnert sich auch genau, daß er auf dem Hinweg der Meinung war, wir hätten nicht genug von Tahiti gesehen und nimmt zum Fährhafen nicht einfach den gleichen Weg zurück, sondern fährt uns noch einmal um die ganze Insel. Auf Tahiti Nui werden wir nun nur noch zu Zwischenübernachtungen sein und keine Zeit auf der Insel selbst mehr haben, wir dürfen uns aussuchen, was wir noch gern sehen würden. Wir denken sofort an die beiden Zwillingswasserfälle, die wir im Vorbeifahren auf der Tour mit Fabrice gesehen haben, der meinte, das sei Privatgrund und da dürfe man nicht hin.
Loïc lacht nur, ach was, die Leute, denen das da gehört, die kennt er, das sei kein Problem, da hinzulaufen. Bis wir dort angekommen sind, hat es angefangen zu nieseln und es zeigt sich, daß auch der sonst immer so tiefenentspannte Loïc etwas hat, das ihn aufregt, und das ist Matsch. Schon beim Aussteigen schärft er uns ein, nicht in den Schlamm zu treten, den will er nicht im Bus haben, wenn wir Schlamm an den Schuhen haben, müssen wir die nachher ausziehen. Er ist ganz aufgeregt und macht mit seinen Endlosbeinen riesige Schritte über die Pfützen. Der Mister ist ja nur wenig kleiner, aber ich habe jetzt zu tun, um die schlammigen Stellen zu umrunden.
Wir klettern einfach über die Absperrung und laufen über die Wiese zu einem Baum direkt vor den Fällen, wo wir uns unterstellen können. Der Fall ist nicht besonders hoch, aber sehr idyllisch gelegen. Daß das hier nicht touristisch oder anderweitig genutzt wird, liegt an Erbstreitigkeiten. Das Haus der Eigentümer steht oberhalb der Fälle auf einem Plateau, man kann es von hier aus nicht sehen, das liegt aber nur an der Perspektive, es ist ganz in der Nähe. Einige der Nachkommen wollten wohl gern verkaufen, da sie es begrüßen würden, wenn der Staat sich darum kümmere, für andere komme das überhaupt nicht in Frage, sie fühlen sich an das Land um die Wasserfälle gebunden. Loïc wird uns später im Vorbeifahren ein Grundstück mitten in Papeete zeigen, auf dem eine Großfamilie in ärmlichsten Verhältnissen haust. Das Grundstück, sagt er, sei so viel wert, daß jeder der Familienangehörigen sich davon weiter oben in den Bergen ein fürstliches Haus mit großem Obst- und Gemüsegarten drum herum bauen könne, aber sie weigerten sich. Die Bindung an den Grund und Boden ist zu stark.
Als es stärker zu regnen anfängt, laufen wir zurück zum Bus. Loïc im Zickzack vorneweg, im Laufen mit dem Finger auf die schlammigen Stellen deutend: Hier aufpassen, da ist Matsch, ach nein, laßt mal lieber hier lang, da nicht reintreten. Es ist schon ein bißchen witzig. Vorm Einsteigen Schuhkontrolle, alles gut gegangen.
Der Mister wünscht sich nochmal einen kurzen Stop an der Matavai-Bucht, weil er beim letzten Mal nur fotografiert hat und noch ein paar Minuten filmen möchte. Unterwegs unterhalten wir uns, Loïc ist schon Großvater und meint, daß die Tuamotus, die Atollinseln Französisch Polynesiens, auf die wir auch noch kommen werden, aufgrund des Klimawandels in 50 Jahren versunken sein werden. Man spüre die Auswirkungen hier ganz deutlich, die Küstenerosion sei stark. Er glaubt, daß seine Enkel die Inseln schon nicht mehr erleben werden.
Im Vorbeifahren sehen wir viele Grundstücke mit blau-weiß-gestreiften Flaggen. Das sind die Polynesier, die die Unabhängigkeit anstreben. Daß es hier in der Küstenregion so viele davon gibt, hat einen historischen Hintergrund und stammt aus der Zeit, als die Engländer die Inseln entdeckten. Viele englische Seeleute blieben hier zurück, heirateten Polynesierinnen, und da sie ja Seeleute waren, verdienten sie ihren Lebensunterhalt mit Fischfang, so daß ihre Grundstücke immer nah am Meer lagen. Daraus ergibt sich bis heute, daß der Teil der Bevölkerung, der keine enge Bindung an Frankreich empfindet weil eher anglophil, sich hier an der Küste konzentriert. Die blauweiße Fahne ist die Fahne eines unabhängigen Polynesiens. Jetzt, wo wir das wissen, wird die Fahne uns überall ins Auge stechen, auch auf der nächsten Insel.
An der Fähre verabschieden wir uns und hier breche ich dann auch eine Regel, die in Französisch Polynesien für viele Besucher vollkommen neu ist: Man gibt kein Trinkgeld. Es wird nicht erwartet und nicht einmal besonders geschätzt. Das ist ein Einfluß der französischen Mentalität, die hohe Ansprüche an wertschätzendes Gehalt und Arbeitsbedingungen verlangt. Man will anständig verdienen und nicht auf Almosen angewiesen sein. Loïc fanden wir aber so dermaßen herausragend in der Art, wie er unseren Aufenthalt hier bereichert hat, obwohl er ja eigentlich "nur" unser Transferfahrer war, der auch schweigend und desinteressiert mit uns von A nach B hätte fahren können, daß ich 20 Euro in den Vouchern verstecke, um meinen Dank auszudrücken. Wir werden ihn auf dieser Reise nicht wiedersehen, aber sollten wir wiederkommen, was sehr wahrscheinlich schon bald der Fall sein wird, dann hoffen wir darauf.
Die Terevau liegt schon im Hafen. Wir machen noch ein paar Fotos und dann geht es an Bord. Es gibt verschiedene Fähren, die zwischen Tahiti und seiner Schwesterinsel pendeln, die Aremiti, eine Autofähre, und die Terevau, die nur Passagiere befördert. Die Terevau macht auf dem Papier maximal 40 Knoten, inoffiziell muß es aber wohl mehr sein, denn in der Vergangenheit versuchten die Kapitäne sich wohl darin zu übertreffen, wer die Maximalgeschwindigkeit erreichen kann. Inzwischen ist das verboten, die Wellen, die dabei erzeugt wurden, hatten nicht nur Auswirkungen auf andere Schiffe und Boote, sondern auch auf die Küsten. Nicht alles, was die Küstenerosion vorantreibt, ist immer Klimawandel.
Auch unsere Fähre dreht gewaltig auf, die Beschleunigung ist unglaublich. Ich bin vor vielen Jahren einmal mit dem Hovercraft nach England gefahren, das hat sich so ähnlich angefühlt. Hinter uns bleibt Tahiti zurück. Tahiti Iti kann man von hier aus schon nicht mehr sehen.
und vor uns liegt Mo'orea.
Schon die Fähre war voll, aber jetzt am Hafen ist so viel Trubel, daß wir Probleme haben, unseren Transfer zu finden. Ein aufgeregt herumguckender Mann mit einem Klemmbrett in der Hand ist es dann, er hat auch schon nach uns gesucht und war schon ganz besorgt.
Der lokale Transferbetreiber Albert Transports macht den Rundkurs über die Insel, wir sitzen in einem richtigen Reisebus, wir ahnten es ja, hier ist es voll. Man drückt uns ein paar Prospekte in die Hand, Ausflugstouren, die wir bei ihnen buchen können. Ein zweiter Mann an Bord macht den Animateur, klar, das ist Werbung hier für die, die Kunden gleich abgreifen, wenn sie die Insel betreten haben. Die Touren sind ganz nett, aber wir werden uns selbst einen Leihwagen nehmen und auf eigene Faust die Insel erkunden. Der Mister war schon einmal hier, ganz kurz nur und es ist lange her, aber er findet sich zurecht und er ist es auch, der unsere Unterkunft hier aus den Tiefen des Internets ausgegraben hat.
Mo'o bedeutet Leguan und rea gelb, was auf eine traurige polynesische Sage zurückgeht, in der auf der geheimnisvollen Insel Maiao (die es wirklich gibt und die bis heute kein Tourist betreten darf) einem menschlichen Paar anstatt eines Babys ein gelber Leguan geboren wurde. Von seinen verängstigten Eltern verlassen, ertrinkt der Leguan auf der Suche nach ihnen bei dem Versuch, den Ozean zu durchschwimmen, und wird in Mo'orea an den Strand gespült.
Mit der Form hat das also nichts zu tun, die ähnelt eher einer Fledermaus. Das liegt an den beiden tief eingeschnittenen Buchten rechts und links des Mont Rotui, links die Baie d'Oponohu und rechts die Cook Bay. Und genau an der Spitze des Küstenstreifens zwischen den beiden Buchten, also quasi mitten auf dem Kopf der Fledermaus, wohnen wir.
Die Kilometersteine auf Mo'orea haben übrigens alle diese Form von kleinen Mooreas, sehr niedlich.
Unsere Pension ist das Motu Iti.
Ein Motu ist eine Insel und was Iti bedeutet, wissen wir ja schon. Und wie sich herausstellen wird, ist das Motu Iti wirklich eine kleine Insel für sich. Ausgesucht haben wir es, weil wir beide - gottseidank - nicht in Überwasserbungalows in einer Fünfsterneblase abseits der Inselbevölkerung wohnen möchten, aber trotzdem gern ein Haus am Strand hätten. Und das kann man hier haben, zu einem Preis, der für Französisch Polynesien geradezu unglaublich günstig ist. Und über mangelnden Kontakt zur Bevölkerung werden wir uns auch nicht beklagen können.
An der Rezeption sitzt ein älterer Herr mit eindeutig chinesischen Vorfahren, sein freier Oberkörper zeigt schon an, Kleidervorschriften gibt es hier nicht. Auch sonst geht es lässig zu, der Eingangsbereich wirkt zusammengewürfelt, aber gemütlich, es gibt eine Sitzecke mit Bücherschrank, eine kleine Bar, die mit etwas vergilbten Postern dekoriert ist.
Wir checken ein und eine Mitarbeiterin führt uns durch einen üppig blühenden Garten zu unserem Bungalow. Der hat zwar keinen Namen, ist aber kompakt und niedlich.
Als erstes schaltet sie den Fernseher ein und erklärt die Fernbedienung. Es läuft eine Telenovela und sie verdreht die Augen. Viel zu viele Polynesier guckten diese südamerikanischen Serien, französische auch, die seien so simpel und dumm, das Volk verblöde davon. Sie hat ein sehr ansteckendes Lachen.
Das Zimmer ist natürlich kein Ha'ari, aber nett und praktisch, mit großem Kühlschrank und Einbauschränken. Alles ist aus lokalen Materialien gefertigt, es ist schlicht, aber dennoch hübsch und liebevoll eingerichtet. Das Badezimmer hat 70er Jahre-Charme, ist aber blitzsauber. Das beste aber ist die Terrasse mit auf den ersten Blick sehr schlicht aussehenden Stühlen, die aber unfaßbar bequem sind. Wer die entworfen hat, hat alles richtig gemacht, man kann stundenlang darin sitzen, ohne daß es unbequem wird.
Und stundenlang hier sitzen werden wir. Unser Bungalow ist der letzte in der Reihe, auf der einen Seite schirmen ihn ein großer Frangipanibaum und ein Tiaré-Busch zum Nachbarn hin ab, auf der anderen Seite ein Hibiskus. Alle drei blühten üppig und dufteten wie verrückt.
Und vor uns die Lagune von Mo'orea, dazwischen ein handtuchbreites Stück Sand, mit Lavasteinen befestigt, von denen aus man direkt ins Meer steigen kann. Die ganze Anlage wirkt unglaublich gut durchdacht. Es gefällt uns sehr.
Sieht jemand das Segelschiff, daß da hinten aus der Cook Bay herausguckt? Das gab der ganzen Szenerie so etwas von einem Piratenversteck.
Vom Bungalow aus hat man auch den Blick auf den Steg mit Pavillon, von dem aus die Familie abends manchmal fürs Abendessen angelt. Dahinter befindet sich das Restaurant und zwischen Rezeption und Restaurant das Wohnhaus der Familie. Über die gesamte Länge der Rezeption zieht sich im Obergeschoß ein Schlafsaal für Backpacker. Nach Zelten ist das hier vermutlich mit Abstand die günstigste Art in Französisch Polynesien unterzukommen.
Durch die großen Schiebetüren, die eigentlich immer offen stehen, nimmt man automatisch am Familienleben der Betreiberfamilie teil. Die Enkel im Kleinkindalter krabbeln auf allen vieren in dem überdachten Gang zwischen Rezeption und Restaurant herum, überall liegt Spielzeug, der Fernseher dröhnt und Madame steht hinter ihrem Bügelbrett, während de Patron, wie immer in Shorts mit freiem Oberkörper, an der Rezeption Dienst tut. Alle sind unglaublich herzlich, es ist eigentlich noch besser, als wir es uns vorgestellt haben.
Im Restaurant gibt es diesmal nicht drei Gerichte, sondern ungefähr dreißig. Endlich bekommt der Mister wieder ein richtiges Steak, und, wer hätt es gedacht, dazu Roquefortsauce, die sie hier "Sauce bleue", blaue Soße, nennen.
Hinano gibt es natürlich auch
Abends sitzen wir dann auf der Terrasse und sind immer noch etwas verwundert, wie sich das Bild seit heute Morgen gewandelt hat. Der Unterschied zwischen dem Blick vom Ha'ari und hier könnte nicht größer sein. Verblüfft sind wir auch, wieviel wir hier für unser Geld bekommen, denn hier, im Unterschied zu der dreimal teureren Vanira Lodge, gibt es schnellstes W-LAN bis in den hintersten Winkel des Grundstücks.
Das nutze ich, um schnell mein Fachvokabular aufzupolieren, denn morgen wollen wir ein Auto mieten. Es wird sich noch auszahlen, daß ich nochmal gelernt habe, wie die Versicherungsterminologie auf Französisch so heißt.