Eine Wiederholung, wie zuvor alle drei Jahre, ließ sich nicht mehr realisieren, vor allem aus gesundheitlichen Gründen.
Zwischenzeitlich gab es Phasen, in denen ich kaum noch an die Insel gedacht habe, zu viele andere tolle Ecken auf der Welt gab es zu sehen. Aber gerade auf einer der letzten Reisen wurden Erinnerungen geweckt. Zum Beispiel in Papeno’o, als wir mit dem Geländewagen die Nebelwälder Tahitis durchfuhren und ich daran denken mußte, wie schön es jetzt wäre, hier zu wandern, und daß ich Vergleichbare nur auf der Réunion gesehen hatte.
Oder in Teahupo’o, als ich an daran denken mußte, wie eine Landkarte in meinem Zimmer auf der Réunion mein Interesse an diesem Zipfel Tahitis weckte und der Besitzer des Hauses, in dem diese Landkarte hing, zugleich meinte, auf Tahiti sei es lange nicht so schön wie hier.
Jetzt, wo ich vergleichen konnte, waren die Erinnerungen fast schon ein bißchen zu verschwommen. War es wirklich schöner auf der Réunion als auf Tahiti? Die Gelegenheit, es herauszufinden, sollte bald kommen.
Anfang Dezember würde meine Tante ihren 80. Geburtstag feiern und der Wunsch war, dies mit der Familie auf der Insel zu tun. Lange war nicht sicher, ob das klappen würde, aber nach einer vor nicht allzulanger Zeit überstandenen wirklich schweren Erkrankung kam gerade rechtzeitig das Ok ihrer Ärzte und von ihr die Ansage: Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren, wir fliegen!
Nachdem die Sache einmal feststand, wurde es aufregend. Flüge buchen, welche Fluggesellschaft, die Verbindungen ab Berlin waren katastrophal und überhaupt wollte ich endlich den französischen Langstreckenbilligflieger French Bee ausprobieren. French Bee fliegt, wie die meisten der Langstreckenflieger, die die Überseedepartments mit der Metropole verbinden, aber nur ab Orly, und dieser Flughafen wird ab Deutschland leider deutlich seltener angeflogen. Einen Flughafenwechsel sollte man nach Möglichkeit vermeiden, denn das ist eine sehr anstrengende und langwierige Angelegenheit in den von permanenten Staus verstopften Straßen um Paris.
Aber ich war bereit, die Wartezeiten in Kauf zu nehmen. Premium Economy für einen Preis, den Air France für Eco aufruft, unfaßbar! Schampus zur Begrüßung und 2 x 23 Kilo Freigepäck. Allein die Möglichkeit, nach 15 Jahren die Vorräte aufzustocken! Tee aus Mauritius, Wein aus Cilaos, Bonbon Coco und flaschenweise Charrette.
So hatte die letzte Reise geendet

und so ähnlich würde sie nun beginnen, denn Charrette war genau pünktlich zur Reise in den zwei zwei aktuellen Sondereditionen verfügbar.

Eine Charrette wird nicht ausreichen für all das, das wir kaufen müssen, ulkte der Onkel, der Wortspiele liebt. Naja, am Ende sollte ich noch froh sein, mit nur einem Koffer ausgekommen zu sein.
Und dann geht es los. Der Mister fährt mich im Morgengrauen durch ein verregnetes Berlin zum Flughafen. Da sitze ich nun, ganz allein, warte auf meinen Easy Jet-Zubringer und habe tatsächlich ein bißchen Flugzeuge im Bauch.

Wiedersehen mit der alten Liebe Réunion. Ob sich die Begeisterung für die Insel neu entfachen lassen wird, oder würde es ein reines Wiedersehen mit alten Bekannten und Angehörigen und Shoppingerlebnis werden und ansonsten eine eher ernüchternde Erfahrung wie auf den Seychellen?
Nachdem ich brav alle meine Pflichten als moderne Reisende erledigt, meine Koffer selbst gescannt und auf die Reise geschickt hatte, geht es nach Orly.

Keine Wetterbesserung in Sicht. 3 Stunden Wartezeit in Gesellschaft des Koffers, der erst vier Stunden vor Weiterflug aufgegeben werden kann. Orly ist ein bißchen langweiliger als der Charles de Gaulle, wenig interessante internationale Fluggäste zum Gucken. Immerhin ergattere ich einen Liegesessel mit Blick aufs Rollfeld. Ich habe schon unangenehmer gewartet.

Während ich da so herumliege, vertreiben mir Tonton und Tante die Zeit mit fiesen kleinen Emails mit Fotos vom sonnigen Blick übers Meer aus unserem Appartment. Wir warten auf Dich und gehen jetzt an den Strand. Schön für Euch.

Sie schicken mir außerdem ein Foto einer Cousine meines Onkels, von der man erfahren habe, daß sie heute mit dem selben Flieger anreist, vielleicht finde ich sie ja beim Boarden. Ich kenne diese Cousine nicht, was auch keine Kunst ist, denn die Cousinen sind zahllos. Ob ich sie anhand des Fotos erkennen werde, wage ich aber zu bezweifeln. Sie hat einen für eine Créolin ungewöhnlichen Namen, aber der steht ihr ja nicht auf die Stirn geschrieben.
Ungeübt in der Rolle als privilegierte Reisende stelle ich mich in der endlosen Schlange des Eco-Pöbels an als es soweit ist, die Koffer aufzugeben, danach fällt mir erst auf, daß ich ja alles in der menschenleeren Priority Lane von meinen Bediensteten hätte erledigen lassen können. An der Security passiert mir das nicht wieder, jetzt weiß ich, wo mein Platz an der Spitze der Nahrungskette ist und ich spaziere aber sowas von an allen vorbei.
Boarden dürfte ich auch priority und sehe mich schon in die bequemen Ledersessel in Überbreite und mit extra Legroom sinken, aber daraus wird nichts. Wir stehen und warten und warten und warten, aber ins Flugzeug lassen sie uns nicht.

Um mir die Zeit zu vertreiben halte ich Ausschau nach der Cousine. Da sind so einige Frauen, die in Frage kämen, aber ich mag nicht jede fremde Frau ansprechen und fragen, ob sie die Person mit dem ungewöhnlichen Namen ist.
Nach einer Weile wird klarer, worauf wir warten, nämlich auf die Person, die Assistenz beim Boarden aufgrund eingeschränkter Mobilität gebucht hat und daher als erste an Bord geht. Der Rollstuhl steht schon bereit, nur der Fluggast fehlt. Irgendwann wird sie ausgerufen und ich zucke zusammen, als der Name der Cousine fällt. Es wird wohl kaum zwei Frauen auf der selben Maschine mit diesem Namen geben, das muß sie sein.
Es dauert weitere zehn Minuten, bis sie erneut ausgerufen wird. Später werde ich erfahren, daß sie die Zeit im Duty Free vergessen hat, was wohl für diejenigen, die sie kennen, überhaupt keine Überraschung ist. Aber diesmal hört sie den Aufruf wenigstens, und was sich dann abspielt, ist an Skurrilität nicht zu überbieten.
Eine bildhübsche Frau, ungefähr in meinem Alter, die mit der Person auf dem Foto tatsächlich Ähnlichkeit hat, aber heute wesentlich schicker zurechtgemacht ist, kommt irgendwo aus den Tiefen des Flughafens gesprintet, als trainiere sie für die Sommerspiele 2024, um direkt am Gate zusammenzubrechen, in den Rollstuhl zu sinken und sich an Bord rollen zu lassen. Hätte ich es nicht mit eigenen Augen gesehen, würde ich es nicht geglaubt haben.
Später, auf der Insel angekommen, wird die Cousine sich nicht im Geringsten genieren, daß ich Zeugin des Vorfalls gewesen bin. Sie ist durchaus bekannt für derlei Vorkommnisse und wird mit einer ähnlichen Nummer um Haaresbreite die Geburtstagsfeier meiner Tante sprengen.
An Bord sehen wir uns nicht wieder, denn die Cousine sitzt irgendwo weiter hinten auf den billigen Plätzen, während ich nun endlich in den Genuß meiner temporären Luxusunterbringung komme. Ein kleines Kosmetiktäschchen bekomme ich überreicht, jedes hat ein Design einer Destination, die von French Bee angeflogen wird. Ich wähle mit Bedacht San Francisco, denn da wollen wir nächsten Sommer ja hin.
Dann wird der Champagner serviert, danach auch noch ein zweites Glas, wenn man möchte. Natürlich möchte ich.

Ich schaue die Elvis-Verfilmung mit Austin Butler und empfinde den Film als Meisterwerk, ich muß mehrmals zurückspulen, weil ich von manchen Szenen so begeistert bin. Um den Gripskasten schon mal in Schwung zu bringen, gucke ich auf Französisch und das klappt erstaunlich gut.
Dank der Kombination aus J-Pillow und bequemen Sitzen schlafe ich danach wie ein Baby. Ich liebe French Bee, der Flug lief wie am Schnürchen, und alles was wir an Verspätung hatten, lag nicht an der Fluggesellschaft, sondern ausschließlich an der Cousine.

Wetteraussichten werden langsam besser:

Als wir morgens landen, bin ich ausgeruht und munter wie selten nach einem Flug und wenn der Rückflug auch so gut wird, wird French Bee Air France als Lieblingsfluggesellschaft den Rang ablaufen, das ist sicher.
Früher waren die Wedel der stilisierten Baumfarne, die den Flughafen stützen, noch braun und der Flughafen ist auch sonst ein bißchen schicker als früher. Aber ich erkenne alles wieder. 15 Jahre, unfaßbar!
