Das Wetter wechselt zwischen sonnig und heiß und teils heftigen Gewittern. Da es nicht so aussieht, als hielten die trockenen Phasen lange an, machen wir nur kurze Ausflüge in die Umgebung.
Ungefähr eine gute Viertelstunde in östlicher Richtung liegt das Olustee Battlefield. Hier waren wir vor 10 Jahren zuletzt und damals war es fürchterlich, weil im Wald eine Bremsenplage herrschte. Vielleicht ist es diesmal besser.
Die Schlacht, die 1864 hier stattfand, ist deshalb so bedeutsam, weil es den Konföderierten gelang, die Unionsarmee in die Flucht zu schlagen und das für die Ernährung der Konföderiertentruppen so immens wichtige Inland Floridas vor ihrem Zugriff zu bewahren.
Es gibt ein kleines Museum, in dem Szenen der Schlacht in Dioramen dargestellt wird und ein in Endlosschleife laufender Film zeigt Szenen aus den alljährlichen Reenactments der Schlacht, die hier im Februar inszeniert werden.
Normalerweise ist hier außerhalb des Events nicht viel los, aber diesmal steht bereits ein Wohnmobil in der Größe eines Linienbusses vor dem Museum. Dazu gehört ein ziemlich fit aussehender Herr, der zweifelnd in den Himmel blickt.
Als er uns im Challenger angerollt kommen sieht, ist er außer sich vor Begeisterung. Sein Sohn fährt auch einen, und dann sitzen auch noch zwei Deutsche drin. Deutschland kennt er, auch Berlin, alles toll, aber sein Lieblingsland ist Österreich.
Er entpuppt sich als globetrottender 70jähriger aus Los Angeles, der, wenn man zwischen den Zeilen hört, mit einem offenbar bestens laufenden Hotdog-Restaurant zum Millionär geworden ist. Seine Spezialität sind Häusertausch-Reisen, bei denen er wenig mehr als die Flugkosten zu zahlen hat, da seine Fünf-Schlafzimmer-Villa direkt an der Pazifikküste beim Häusertauschportal so hoch bewertet ist, daß ihn die Unterkünfte in anderen Ländern quasi nichts kosten.
Das System ist mir zugegebenermaßen rätselhaft. In London zahlt man vermutlich selbst für eine Abstellkammer mehr, wenn sie aus dem 17. Jahrhundert stammt und einen Blick auf den Buckingham Palace hat. Aber offenbar sind die Kriterien hier andere.
Zu unserem Spaziergang über das Schlachtfeld kommt es dann nicht mehr, denn während wir uns noch unterhalten, geht das nächste Gewitter über uns nieder und wir müssen im Wohnmobil Schutz suchen.
Das hat zwei Schlafzimmer und drei Fernseher, davon einer in der Außenwand des Wohnmobils, damit man beim Grillen Football gucken kann. Sowas Luxuriöses hab ich noch nie gesehen.
All das zeigt er uns aber ohne jegliche Angeberei, er freut sich einfach an den schönen Dingen, und nach dem, was er uns über das Hotdog-Business in Los Angeles berichtet, arbeitet er vermutlich auch hart.
Nur zu dem Museum hat er seine eigene, kalifornisch-liberale Sichtweise. Den Erhalt Floridas als Kornkammer, um die Soldaten zu ernähren, das sei doch nur eine Seite der Medaille. Eigentlich ging es um den Erhalt der Sklaverei, daher müsse man dieses Museum durchaus kritisch sehen. Florida sei so konservativ, er fahre gleich morgen weiter nach Neuengland.
Ja, das ist uns durchaus bewußt, daß wir gerade hier in Nordflorida in den Südstaaten sind, und nicht alles davon gefällt uns. Aber die Floridianer haben die Schlacht nun mal gewonnen und natürlich haben sie sich damals darüber gefreut. Historische Fakten zu canceln oder so darzustellen, wie sie dem Zeitgeist entsprechen, wie es ja inzwischen Mode ist, ist ja auch nichts anderes als Bücher zu zensieren. Was er vermutlich meint ist, daß er eine differenziertere Betrachtungsweise wünschen würde, und da gebe ich ihm durchaus recht. Nur, da kann er lange warten, denn wie wird De Santis zitiert: Florida is the place where woke goes to die.
Als der Regen nachläßt, verabschieden wir uns. Später bedauern wir ein bißchen, daß wir uns nicht genauer nach seinem Laden in Los Angeles erkundigt haben, denn jetzt, wo wir wissen, daß wir aller Voraussicht nach nächstes Jahr dort einen Zwischenaufenthalt haben werden, hätten wir ihn gern besucht.
Hier am Rand des Schlachtfeldes von Olustee steht man am Rand des Osceola National Forests, der bis an die Grenze Georgias heranreicht und dort nahtlos in den Sumpf von Okefenokee übergeht. Während wir den Okefenokee einigermaßen gut kennen, haben wir dem Gebiet dazwischen bislang eigentlich überhaupt keine Aufmerksamkeit gewidmet.
Am Rand und nicht weit von Olustee liegt der Ocean Pond, der der Schlacht auch ihren Beinamen „Battle of Ocean Pond“ eingebracht hat. Ein kreisförmiger See, wenn man so will, mit seiner Randbebauung der letzte Außenposten der Zivilisation, bevor der Osceola National Forest beginnt. Es sind mit dem Auto nur wenige Minuten und wir beschließen, uns den Rest des Tages hier ein bißchen umzusehen.
Wir sehen uns dann genauer um, als wir es eigentlich vorhatten, denn anstelle der offiziellen Zufahrt zum See verfahren wir uns und landen in einem Wohngebiet, dessen Asphaltstraße bald in einen Sandweg übergeht.
Der Mister nimmt es mit Fassung, denn das Auto ist schon von dem Gewitter in Olustee für seinen Geschmack komplett überholungsbedürftig, da macht das jetzt auch nichts aus. Außerdem sieht die Straße ausgesprochen malerisch aus, mit sumpfigen Bereichen entlang des Fahrweges, die mit Sicherheit voller Tiere sind.
Am Ende landen wir in einer Sackgasse und müssen in der Einfahrt eines nicht sehr anheimelnd aussehenden Holzhauses wenden. Eigentlich finden wir das toll, die Vorstellung, hier so zu leben, vermutlich zwischen Gators und Schildkröten und was sonst so alles hier so kreucht und fleucht.
Richtig wohl ist uns aber trotzdem nicht, die ganze Ecke hat was von Wrong Turn und man erwartet förmlich, eine Horde zahnloser Gestalten aus der Hütte gestürmt kommen zu sehen. Aber vermutlich wohnen hier ganz solide Leute, die sich vielleicht eher fragen, was wir hier ausspionieren wollen.
Das einzige, das wir ausspionieren, ist aber der Sumpf an der Straße.
Und wir werden belohnt: Ein jugendlicher Gator hat hier sein Refugium abseits der großen Wasserfläche, wo seine Artgenossen ihm nach dem Leben trachten.
Es ist einfach so wahr, was man über Florida sagt: Wo Wasser ist, sind auch Gators.
Zurück auf dem Highway kommt uns die einsame Straße mit ihrem Holzhaus und dem einsamen Gator fast unwirklich vor. Diesmal finden wir die richtige Zufahrt zum Ocean Pond dann auch.
Der See ist fast kreisrund und am anderen Ufer gegenüber dicht bebaut. Auf dieser Seite ist es ein State Park mit Badeanstalt.
Trotz des regnerischen Tages ist es weiter sehr warm und an dem kleinen Badebereich mit künstlich aufgeschüttetem Strand sitzen sogar ein paar Leute.
Wir sind erstaunt, so viele Floridianer haben eine Heidenangst in die Quellen zu steigen, da könnten ja Gators sein. Und hier, mitten im Schilfgürtel eines relativ großen Sees mit dunklem Wasser, umstanden von dichtem Bewuchs in der Uferzone, da gehen die Leute baden? Oder sitzen im Sand und lassen ihre Kinder planschen? Glauben die, das Absperrseil mit den lustigen orangenen Bojen schreckt irgendwas ab, das da aus dem See kommt? Ich würde keinen Fuß in dieses Wasser setzen, nicht mal, wenn man mich dafür bezahlte. Die ganze Szenerie schreit doch förmlich MONSTERGATOR ATTACKS. Versteh einer diese Floridianer.
Was wir noch nicht wissen: Die Gefahr lauert ganz woanders.
Nach dem Ende des Bürgerkriegs gründeten zwei ehemalige Soldaten hier im Osceola Forest eine Holzfabrik. Die Anlage war erfolgreich und wuchs weit in den Osceola Forest hinein, inklusive eigener Bahntrasse. Was davon übrig ist, kann man sich auf dem Trampled Track Trail am Seeufer anschauen.
Es ist düster und feucht hier im Wald, der Weg führt über einen Boardwalk zum See.
Teilweise sind sogar noch die alten Bahngleise erhalten.
Als wir aus dem Wald herauskommen, wird der Mister von zwei anderen Besuchern angesprochen. Nicht nur der schöne Wagen ist Thema, sondern auch unser Spaziergang über den Trampled Track. Zecken, so sagt man uns, seien hier im Wald häufig, und auf diesem Trail da gebe es sie auf jeden Fall.
Die Warnung kommt genau richtig, wir wissen nicht, ob wir von uns aus daran gedacht hätten, und tatsächlich werden wir am Abend im Motel fündig. Später stelle ich fest, daß ich dieses Jahr auch ein falsches Off gekauft habe, nämlich eines, das nicht vor Zecken schützt. Passiert mir nicht wieder.
Und das hier kaufe ich mir nächstes mal auch gleich mit
Eine Zeckenzange haben wir nicht, aber zum Glück habe ich Routine im Zeckenentfernen mit der bloßen Hand, und antibiotische Salbe haben wir auch dabei. Borreliose ist bei Zecken in Florida weit verbreitet, die Übertragung erfolgt jedoch erst ungefähr 24 Stunden nachdem die Zecke sich festgebissen hat, und da waren wir dank der freundlichen Erinnerung der Leute vom Ocean Pond deutlich darunter.
Kurz vor dem Lake de Soto läuft eine große Gelbwange mitten über den Highway. Es ist wenig los auf der Straße, aber trotzdem stehen die Chancen schlecht, daß sie das überlebt. Der Mister schaltet den Warnblinker ein und bremst ab und nach einem kurzen Blick in den Rückspiegel springe ich auf die Straße und sammele sie ein.
Wir fahren zum See hinunter und diesmal denken wir daran, eine kurze Videoaufnahme von Kröte und mir im Challenger zu machen. Da sieht es der Mister sogar nach, daß die Kröte alles volltropft.
Dann setzen wir sie am Seeufer aus und gucken, ob sie auch ins Wasser läuft. Da sie ja vermutlich vom See kam, ist davon auszugehen, daß sie einen erneuten Versuch starten wird, sich einen neuen Lebensraum zu suchen. Das können wir dann nicht ändern, aber für heute ist sie erstmal gerettet.
Der Tag, der eigentlich nur ein entspanntes Herumtrödeln über die Landstraßen der Umgebung werden sollte, hatte definitiv mehr als eine Überraschung bereit. Aber das ist irgendwie typisch Florida.
Auf drei Florida-Reisen in Folge drei Schildkrötenrettungen. Da haben wir es uns verdient, daß wir morgen mit einem ganz besonders schönen Schildkrötenerlebnis belohnt werden.