Dschungelcamp an der Datumsgrenze

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Suse
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Re: Dschungelcamp an der Datumsgrenze

Beitrag von Suse »

Als wir die letzten Ausläufer von Faleloa erreicht haben, machen wir Pause auf einer Bank am Wegesrand. Es ist nicht genau erkennbar, ob die Bänke für die Allgemeinheit aufgestellt wurden, oder zum Privatgrundstück der Einheimischen gehören, so daß wir um Erlaubnis fragen, uns hier niederlassen zu dürfen. Ich platze mit meiner Frage mitten in die ländlichen Verrichtungen hinein, er repariert am Pickup herum, sie füttert die Schweine. Man schaut erschrocken, die Frage löst auch zunächst Unverständnis aus, aber als sie verstehen, was ich wissen möchte, kommt das offenbar gut an. Mit breitem Lachen antwortet man mir, aber selbstverständlich dürften wir dort sitzen.

Als wir Cola und Knabberkram auspacken, haben wir bald Gesellschaft. Nicht nur die Ferkelbande schnürt langsam heran, auch zwei Mädchen gesellen sich zu uns. Noch gehen sie vermutlich nicht zur Schule, sie sprechen noch kein Wort Englisch, und wir schätzen sie auf höchstens sechs Jahre. Die aufgewecktere der beiden übernimmt die Konversation mit Händen und Mimik. Man möchte probieren, was wir da gerade essen. Die angebotenen Bananenchips werden dann allerdings mit entgleisten Gesichtszügen gegessen. Der ausgestreckte Finger, der auf eine benachbarte Bananenstaude zeigt, scheint uns zu sagen, daß sie mit etwas aus ihrer Sicht Exotischerem gerechnet hatten. Die Cola ist da sehr viel interessanter.

Die nonverbale Verständigung klappt hervorragend. Bald wissen wir, wieviele Schweine sie und die Nachbarn besitzen und welche zu wem gehören. Ein vorbeifahrender Jugendlicher wird uns mit einer eindeutigen Handbewegung in Stirnhöhe als Spinner beschrieben.

Als wir sie fragen, ob wir ein Foto mit ihnen machen dürfen, halten sie gerade für eine gemeinsame Aufnahme mit mir still, dann folgt die unmißverständliche Aufforderung an uns, die Plätze zu tauschen. Sie möchten mit ihm aufs Foto, nicht mit mir. Somit kauere ich bald mit der Kamera auf dem Boden und mein Mann sitzt auf der Bank zwischen zwei begeisterten Mädchen, in deren Gesichtszügen sich bereits die zukünftigen polynesischen Schönheiten abzeichnen und die ihm scheue Blicke zuwerfen. Umringt von einer Horde grunzender Ferkel. Es werden hinreißende Bilder.


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Wir radeln langsam zurück, gerade ist Schulschluss in Faleloa. Überall Indizien, daß das Land den Kampf gegen den ungesunden Lebenswandel aufgenommen hat. Große Lehrtafeln am Schulzaun fordern zum Konsum von Kokoswasser anstelle westlicher Softdrinks auf und wir haben ein etwas schlechtes Gewissen, daß wir den beiden Mädchen zuvor von unserer Cola abgegeben haben, auch wenn in der Dose nur noch wenige Schlucke waren.


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Hinter der Schule beendet eine gemischte Klasse gerade die Gartenarbeit, sie schleppen emsig Grünzeug zum Kompost, weiter hinten brennt bereits ein Feuer. Ich liebe den Geruch. Um die Schule herum zahlreiche Geländewagen in unterschiedlichen Stadien des Verfalls, darin die abholenden Mütter, die wartend auf ihren Handys herumtippen. Das ist also auch nicht anders als bei uns.

Am Nachmittag müssen wir packen. Morgen verlassen wir Foa und kehren zurück nach Tongatapu, bevor es in ein paar Tagen weitergeht nach Eua. Als wäre es für unseren Abschied organisiert worden (was es natürlich nicht ist), gibt es am Freitagabend ein Buffet. Da beide Schwesterresorts derzeit nur mit wenigen Gästen belegt sind, findet es für alle gemeinsam in der Matafonua Lodge statt, so daß wir abends im Dunklen zu zweit über den gruseligen Kinderkleiderfriedhof Richtung Nordspitze huschen.

Inzwischen sind weitere deutsche Gäste eingetroffen, weit gereiste Leute, mit denen wir uns interessant unterhalten. Auch die gesamte Sandy Beach Crew ist dabei, außerdem Darren und seine Familie. Das Buffet ist ausgezeichnet, zur Erleichterung des Misters auch weitestgehend fischfrei, was hier ja nicht unbedingt zu erwarten gewesen war. Natürlich dient die Veranstaltung in gewissem Sinne auch einem Werbezweck. Man soll die Matafonua Lodge kennenlernen und vor allem zu zukünftigen Reisen animiert werden. Als wir andeuten, bereits über eine Luahoko-Wiederholung nachzudenken, fragt uns Ruth, was denn mit uns nicht stimme…

Die eigentliche Saison in Tonga beginnt, wenn die Wale kommen, ungefähr von Juli bis Oktober. Tonga ist einer der wenigen Orte auf der Welt, der das Schwimmen mit Buckelwalen erlaubt und wir bekommen aus Darrens Archiven einige unfaßbare Aufnahmen gezeigt und die dazu passenden Geschichten erzählt. Es ist schon verlockend, was wir sehen. Die jungen Bullen und die alten Kühe, die so vertraut sind mit den Menschen hier, daß sie mit ihnen spielen und gezielt die Lagune vor dem Sandy Beach aufsuchen, um ihre Kälber nahe bei den Menschen zur Welt zu bringen.

Man kann jedoch nicht alles haben, und für uns ist das zunächst keine Option, denn während der Buckelwalsaison ist Luahoko „geschlossen“. Die Resorts sind zu dieser Zeit ausgebucht und alle Boote tagtäglich im Einsatz, so daß für den Luahoko-Transfer schlicht keine Kapazitäten frei sind. Natürlich löst dies sofort Phantasien aus, wie es denn wäre, einfach die gesamte Buckelwalsaison dazubleiben, aber das ist natürlich Nonsense, solange man kein eigenes Boot zur Verfügung hat, um sich selbst zu verpflegen oder aus anderen Gründen die Insel verlassen zu können.

Der Abschied von Foa endet am nächsten Morgen mit mehreren Schrecksekunden. Nicht nur, daß ich es schaffe, mich auf dem Flughafenklo einzusperren. Ein Kunststück, mit dem ich mich übrigens in bester Gesellschaft befinde, wie wir später feststellen, denn die Verriegelung ist auf allen öffentlichen Inseltoiletten ähnlich schrottreif, so daß dies auch Einheimischen passiert. Auch die Wiegeprozedur ist unerfreulich, denn offensichtlich habe ich es als vermutlich einziger Mensch auf der Welt geschafft, während des Luahoko-Aufenthalts zuzunehmen.

Der kleine Islandhopper ist dann auch noch eine wesentlich kleinere Maschine als auf dem Hinflug und entsetzlich eng, so daß ich in dem winzigen Mittelgang zwischen den Rückenlehnen stecken bleibe. Dies geht natürlich auch allen Tonganern so, weshalb die Rückenlehnen zu diesem Zweck nach vorn geklappt werden können. Man muß es eben nur wissen.


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Nach einer herzlichen Verabschiedung von Darren verlassen wir also Foa, die kleine Maschine befördert uns erneut über die kleinen, wie türkise Diamanten verstreuten Atolle. Nicht nur wir, auch die Einheimischen, die regelmäßig zwischen den Inselgruppen hin- und herfliegen, sind beeindruckt und fotografieren pausenlos.

Kautai holt uns ab und die Freude, sich wiederzusehen, ist beiderseits. Daß wir es überhaupt wieder mit ihm zu tun bekommen, ist wiederum Gita zu verdanken, denn eigentlich war gar nicht geplant, länger als den Ankunftstag in der relativ feudalen Seaview Lodge zu wohnen. Wir hatten uns für den Anschlußaufenthalt andere Unterkünfte ausgesucht, abgelegenere in wilderen Gegenden, in die die Tonganer selbst fahren, um Urlaub zu machen. Von Einheimischen betriebene kleine Resorts, bestehend aus traditionellen Hütten, die dem Sturm dementsprechend nichts entgegenzusetzen hatten und auch heute, ein Jahr später, noch nicht wieder aufgebaut sind.

Die stabile Seaview Lodge hatte nur wenige Schäden davongetragen, die mit Schweizer Präzision längst beseitigt wurden, und so entschließen wir uns, den abenteuerlicheren Gästehäusern nicht hinterherzutrauern, sondern uns einfach auf die schöne Unterkunft zu freuen.

Kautai erzählt uns, es habe während unserer gesamten Abwesenheit auf Tongatapu nicht geregnet, was auch während der Trockenzeit ungewöhnlich sei. Prompt fallen noch während der Fahrt vom Flughafen nach Nuku’alofa die ersten Tropfen. Na super. Wir verabreden uns mit ihm für den übermorgigen Tag für eine Inselrundfahrt. Denn morgen ist erst einmal Sonntag und wie wir inzwischen wissen - da geht in Tonga gar nichts.

In der Seaview Lodge angekommen, empfängt uns diesmal nicht James Brown, sondern ein uns bislang unbekannter Mitarbeiter, der, während er unsere Anmeldung ausfüllt, mit gerunzelter Stirn in den Unterlagen blättert. Ich inspiziere derweil unauffällig die neben der Rezeption befindliche Bar. Bislang scheinen weder Jim, Jack noch Johnny hier neu eingezogen zu sein. Nur von dem einheimischen Whisky ist immer noch etwas übrig.

Als wir zu unserem Zimmer gebracht werden, schlagen wir vermeintlich die falsche Richtung ein. Sind die Zimmer nicht eigentlich alle rechts den Gang runter? Dann geht es durch eine kleine Seitentür und eine enge Treppe hoch. Wir fragen uns schon, in welche Dachkammer man uns denn jetzt gerade verfrachtet, als wir plötzlich in einem großzügigen, mit eleganten Kolonialmöbeln und Mahagonischnitzereien eingerichteten Wohnzimmer stehen, in dem der gigantische Flachbildfernseher mit der eleganten Küche um die Wette glänzt. Zur Rechten zwei Schlafzimmerer mit Himmelbetten, zur Linken eine sich über die gesamte Längsseite erstreckende Terrasse mit Liegestühlen und Rattanmöbeln. Allein das Wohnzimmer mit dem gigantischen Esstisch ist größer als unsere gesamte Wohnung zuhause. Wir haben längst geschnallt, daß wir, nachdem uns unsere geplanten Unterkünfte durch Naturkatastrophen und tragische Unglücksfälle auf dieser Reise mit schöner Regelmäßigkeit vor der Nase zerplatzten, hier gerade voll ins Glückstöpfchen gegriffen haben. Wir grinsen bereits im Kreis, als unser Begleiter die Koffer abstellt, sich zu uns umdreht und völlig überflüssigerweise verkündet: You got an upgrade.


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Suse
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Re: Dschungelcamp an der Datumsgrenze

Beitrag von Suse »

foto-k10 hat geschrieben: 22 Jun 2019 19:04 Muss auch keine Zähne haben, so eine Trapezform - wie bei Wikipedia gezeigt - ist häufig: https://de.wikipedia.org/wiki/Zahnriemen
So wie auf dem Wikipedia-Bild sah es auch nicht aus, eher wie eine richtige Fahrradkette aus Gummi (oder Kunststoff) und ohne bewegliche Kettenglieder. Das Fahrrad hatte auch ein ganz normales Ritzel. Ist zwar nicht so von Bedeutung (es fuhr sich nämlich nicht besonders gut damit), aber ich habs jetzt mal gegoogelt, Fahrradketten aus Kunststoff scheinen gar nicht so selten zu sein.
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Re: Dschungelcamp an der Datumsgrenze

Beitrag von Klara »

Suse hat geschrieben: 22 Jun 2019 19:50
Als wir sie fragen, ob wir ein Foto mit ihnen machen dürfen, halten sie gerade für eine gemeinsame Aufnahme mit mir still, dann folgt die unmißverständliche Aufforderung an uns, die Plätze zu tauschen. Sie möchten mit ihm aufs Foto, nicht mit mir. Somit kauere ich bald mit der Kamera auf dem Boden und mein Mann sitzt auf der Bank zwischen zwei begeisterten Mädchen, in deren Gesichtszügen sich bereits die zukünftigen polynesischen Schönheiten abzeichnen und die ihm scheue Blicke zuwerfen. Umringt von einer Horde grunzender Ferkel. Es werden hinreißende Bilder.
herrlich, auf uns kamen auch schon wildfremde Leute zu, ob sie mal ein Foto zusammen mit meinem Göttergatten machen könnten :lol:
Suse hat geschrieben: 22 Jun 2019 19:50 Der Abschied von Foa endet am nächsten Morgen mit mehreren Schrecksekunden. Nicht nur, daß ich es schaffe, mich auf dem Flughafenklo einzusperren. Ein Kunststück, mit dem ich mich übrigens in bester Gesellschaft befinde, wie wir später feststellen, denn die Verriegelung ist auf allen öffentlichen Inseltoiletten ähnlich schrottreif, so daß dies auch Einheimischen passiert. Auch die Wiegeprozedur ist unerfreulich, denn offensichtlich habe ich es als vermutlich einziger Mensch auf der Welt geschafft, während des Luahoko-Aufenthalts zuzunehmen.
da erkenne ich mich auch wieder :wink:
Suse hat geschrieben: 22 Jun 2019 19:50 Als wir zu unserem Zimmer gebracht werden, schlagen wir vermeintlich die falsche Richtung ein. Sind die Zimmer nicht eigentlich alle rechts den Gang runter? Dann geht es durch eine kleine Seitentür und eine enge Treppe hoch. Wir fragen uns schon, in welche Dachkammer man uns denn jetzt gerade verfrachtet, als wir plötzlich in einem großzügigen, mit eleganten Kolonialmöbeln und Mahagonischnitzereien eingerichteten Wohnzimmer stehen, in dem der gigantische Flachbildfernseher mit der eleganten Küche um die Wette glänzt. Zur Rechten zwei Schlafzimmerer mit Himmelbetten, zur Linken eine sich über die gesamte Längsseite erstreckende Terrasse mit Liegestühlen und Rattanmöbeln. Allein das Wohnzimmer mit dem gigantischen Esstisch ist größer als unsere gesamte Wohnung zuhause. Wir haben längst geschnallt, daß wir, nachdem uns unsere geplanten Unterkünfte durch Naturkatastrophen und tragische Unglücksfälle auf dieser Reise mit schöner Regelmäßigkeit vor der Nase zerplatzten, hier gerade voll ins Glückstöpfchen gegriffen haben. Wir grinsen bereits im Kreis, als unser Begleiter die Koffer abstellt, sich zu uns umdreht und völlig überflüssigerweise verkündet: You got an upgrade.


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super, dass gönnt man euch von ganzem Herzen.
Danke fürs Darstellen
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Re: Dschungelcamp an der Datumsgrenze

Beitrag von Suse »

Die Suite ist ein Traum, in dem wir uns nach unserem Luahoko-Abenteuer fast ein bißchen deplaciert fühlen. Da die Veranda zur Frontseite der Lodge hinausgeht, unter der dann tagsüber auch die Gäste des Cafés sitzen, verzichten wir darauf, unsere klammen Strandlaken dort aufzuhängen, dafür haben wir ja die Rückenlehnen der 6 Stühle um den massiven Eßtisch. Überall liegt abgespültes Schnorchelzeug herum, die Technik belegt jede Steckdose, müffelnde Strandschuhe stehen zum Trocknen in der Sonne. Irgendwie verhalten wir uns nicht der Unterkunft angemessen, die eigentlich danach verlangt, in weiße Leinengewänder gehüllt gekühlten Weißwein zu schlürfen. Wir schämen uns auch ein bißchen dafür, was wir den Räumen antun und verzichten am Sonntag dann auch auf Housekeeping, bis wir wieder selbst ein bißchen Ordnung geschaffen haben.

Um zumindest den äußeren Schein zu wahren, ziehe ich mich zum Frühstück besonders ordentlich an; Gelegenheit, mein feines Kleid auszuführen, das erst einmal in Hong Kong zum Einsatz gekommen ist. Es gibt wieder weltbestes Rührei und weltbesten tonganischen Kaffee. Jetzt nur nicht bekleckern, denn natürlich habe ich mich nicht nur für das Frühstück herausgeputzt. Um halb zehn lasse ich den Mann am Frühstückstisch in Gesellschaft der Minolta zurück und ziehe los in die Kirche.

Heute ist Sonntag, und wenn man sagt, daß in Tonga sonntags gar nichts geht, dann sind damit alle Bereiche außerhalb der Gemeinden gemeint, denn in der Kirche geht heute richtig was. Daß die Völker der Südsee schön singen können, ist bekannt, und auch auf den Seychellen habe ich bereits gute Kirchenchöre gehört. Über die Tonganer aber sagt man, daß sie mit ihrem Gesang alle anderen in den Schatten stellen.

Wenn man sich mit anderen Südseereisenden unterhält, bekommt man unterschiedliche Ansichten zu hören. Einige lehnen es ab, als Atheisten nur zur puren Unterhaltung in den Gottesdienst zu gehen, und bleiben vor den Kirchen stehen oder sitzen, um dem Gesang durch die offenen Fenster und Türen zu lauschen. Manche wiederum haben keine moralischen Bedenken, sondern bleiben nur deshalb gleich von vornherein draussen, weil ihnen die Gottesdienste, die hier in epischer Breite zelebriert werden, zu lange dauern. Ich persönlich habe kein Problem damit, unauffällig am Gottesdienst teilzunehmen und mir gegebenenfalls eine einstündige Predigt anzuhören, von der ich aller Voraussicht nach kein Wort verstehe. Mittendrin hinauszugehen fiele mir nicht ein. Ich hoffe also, daß sich hier niemand von mir begafft oder gestört fühlen wird.

Die Auswahl an Gottesdiensten, die ich besuchen könnte, ist groß. Von allen um den Königspalast herum angesiedelten Kirchen sind mir die Wesley-Methodisten am sympathischsten, diese Glaubenslehre gilt als besonders liberal, wenig dogmatisch und an hohen sozialen Grundsätzen ausgerichtet, an denen man als überzeugter Gewerkschafter nur seine Freude haben kann. Einen praktischen Grund, dorthin zu gehen, gibt es allerdings auch noch: Die Kirche liegt gleich um die Ecke.


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Als ich ankomme, sind die Bänke schon gut besetzt. Die untere Hälfte der Seitenwände des Kirchengebäudes bestehen fast ausschließlich aus bodentiefen Fenstertüren, die meisten stehen offen und es herrscht ein angenehmer Durchzug. Menschen kommen und setzen sich, manche gehen noch einmal hinaus. Was sofort auffällt, ist, daß es keinen richtigen Altar gibt, eher eine Art Podium. Ebenso fehlt eine Orgel.

Dafür spielt sich vor dem Altarpodium bereits eine Blaskapelle ein, sie klingen professionell, aber wenig kirchlich, es hat eher was jazziges, was sie da spielen. In den Reihen dahinter scheint der Kirchenchor zu sitzen, die Wesley-Methodisten von Nuku’alofa sind bekannt für ihren besonders schönen Chor. Noch ist der aber nicht vollständig, einige verspätete Chormitglieder eilen herbei, darunter zahlreiche junge Männer, die eine Tapa mit roter Bordüre tragen und damit als Studenten des Tonga College zu erkennen sind. Die weiblichen Mitglieder des Chores tragen elegante Kleider aus steifen Stoffen, die mit den gleichen Mustern bedruckt sind, die sich sonst auf den Tapa-Matten finden. Sollten ihre Stimmen ebenso voluminös sein wie sie selbst, wird von den College-Studenten wohl nicht mehr viel zu hören sein.

Der Chor ruckelt sich zurecht, es wird hie und da nochmal der Platz getauscht und ziemlich unförmlich gekichert und sich mit den Ellenbogen angestoßen. Es geht überhaupt recht locker zu. Nach wie vor strömen von allen Seiten Gemeindemitglieder herbei. Inzwischen ist es längst 10 Uhr, der Gottesdienst scheint aber noch nicht zu beginnen, denn eilig hat es niemand. Manche suchen ganz offensichtlich auch den Auftritt. Zwei junge Frauen, eindeutig Schwestern, schweben betont langsam durch die Gänge und wechseln mehrmals den Platz. Im Gegensatz zu allen anderen Frauen tragen sie ihr hüftlanges Haar offen, sie sind bildschön, alle beide, und ganz eindeutig wissen sie das auch. Ich finde es ein bißchen beruhigend, daß die frommen Tonganer nicht frei von Eitelkeiten sind.

Inzwischen ist auch der Prediger eingetroffen und lümmelt lässig auf einem thronartigen Stuhl auf dem Podium, den Kopf in die Hand gestützt. Es sieht aus, als sei er eingeschlafen, aber jetzt scheint es langsam loszugehen.

An der Wand neben dem Podium erscheint eine Beamerprojektion, die, wie sich später herausstellt, in erster Linie dazu dient, die Liedtexte karaokemäßig ablaufen zu lassen. Wahrscheinlich sind Gesangbücher Mangelware.

Außerdem wird so der jeweils folgende Punkt der Liturgie angekündigt, neben Tonganisch auch auf Englisch für die ausdrücklich willkommen geheißenen Palangi. Ich finde das ungeheuer sympathisch, denn obwohl die Tonganer mit Sicherheit genau wissen, daß die meisten Touristen ohnehin nur hier sind, um den Gesang zu hören, beziehen sie sie mit simplen Gesten ein: „Jetzt Predigt“ steht dann da, oder „Geschichte für Kinder“. Es ist irgendwie rührend.

Als erstes wird aber eine Liednummer angezeigt. Es kommt Unruhe auf, einige Gemeindemitglieder besitzen eigene Gesangbücher, in aufwändig verzierten Schachteln verpackt. Sie beginnen zu blättern, nehmen Haltung an, und dann singen sie los und mir richten sich die Haare an den Unterarmen auf. Ich hatte damit gerechnet, daß es schön sein würde, aber nicht mit diesen Klängen. Die Stimmen klingen nicht „schwarz“, die Statur der Tonganer verleitet schnell zu der Annahme, daß sich hinter den gewaltigen Resonanzkörpern geheime Mahalia Jacksons und Paul Robesons verbergen müssen, aber es klingt eher, als sängen da hundert Mama Cass und Elvisse, die mühelos ihre drei Oktaven-Stimmen in perfekter Harmonie aufeinander einstimmen.

Keines der Kirchenlieder ist mir bekannt, die Texte Tonganisch, aber das ist vollkommen egal. Es stört mich auch nicht, als eine verspätet eintreffende Familie mit drei Kindern sich in der Bank vor mir platziert, aufgereiht wie die Orgelpfeifen, der zwei Meter hohe und ebenso breite Familienvater genau vor meiner Nase. Ich muß nichts sehen, während ich gebannt dem Gesang lausche.

Allein die Tatsache, daß der hohe kahlrasierte Schädel des Mannes mich an irgendjemanden erinnert, lenkt mich ein bißchen ab. Irgendwann komme ich drauf, die gewaltige doppelte Nackenfalte, die ihm über den Kragen quillt, gleicht der Mundpartie einer Zeichentrickfigur. Wenn ich jetzt ein paar Wackelaugen zur Hand hätte, um sie auf den Hinterkopf zu kleben, hätten wir exakt die Gesichtszüge von Homer Simpson.

Bis der Gottesdienst, der tatsächlich eineinhalb Stunden dauert und der zu meiner Freude überwiegend aus dem Gesang von Kirchenliedern und Hymnen besteht, vorüber ist, habe ich meine pietätlosen Gedanken wieder vergessen. Die Gemeinde steht anschließend locker herum, hinter dem Predigerpodest formiert sich sowas wie eine Schlange, offenbar gibts heute Abendmahl. Gute Gelegenheit, sich zu verabschieden, und ich gehe ganz beseelt nach Hause.

Nachdem wir den Rest des Sonntags die feudale Suite genossen haben, sind wir am Montag ausgeruht und unternehmungslustig, als Kautai uns zur Inseltour abholt. Den ursprünglichen Plan, die Insel mit einem Mietwagen zu erkunden, haben wir inzwischen verworfen. Selbst ein internationaler Führerschein wird auf Tonga nicht akzeptiert, ein tonganischer muß erworben werden. Die zuständige Behörde in Nuku’alofa zu ermitteln war schon das erste Problem, Berichte auf TripAdvisor sprachen von verschlossenen Türen und kurzen Öffnungszeiten. Angesichts der Kürze unseres Aufenthalts wollten wir mit diesem Behördenkram keine Zeit vertun, aber auch aus andere Gründen erweist sich die Tour mit einem einheimischen Guide als goldrichtig. Die Hälfte aller Dinge, zu denen Kautai uns führt, hätten wir ohne ihn wohl kaum so ohne weiteres gefunden.

Ganz sicher vorbeigefahren wären wir schon an unserem ersten Halt, der Dreiköpfigen Kokospalme, die hier mal eben so am Straßenrand wächst. Lediglich ein schmales Schild weist auf die riesige Palme mit der dreifach gegabelten Krone hin, eine Kokosnuss-Hydra, die ordentlich Nüsse trägt. Sie soll sehr alt sein, sagt Kautai, bestimmt 40 Jahre. Erstaunlich, daß sie alle diese Zyklone überstanden hat, aber, wie Kautai sagt, wie stark ein Baum sei, erkenne man daran, wie sehr er sich biegen könne, und diese Palme sei sehr stark. Außerdem die einzige ihrer Art im gesamten Südpazifik, möge sie also noch lange so biegsam bleiben.


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Re: Dschungelcamp an der Datumsgrenze

Beitrag von Suse »

Abgesehen von dieser botanischen Kuriosität bedeutet eine Inselrundfahrt auf Tongatapu vor allem faszinierende Landschaften. Unsere nächste Station müssen wir nach Kautais Erfahrung möglichst früh am Tag erreichen, denn je höher der Wasserstand, umso beeindruckender.

Die Mapu 'A Vaea Blowholes sind die bekanntesten an Tongatapus Küsten, gelten als die beeindruckendsten und ziehen wohl auch die meisten Touristen an. Als wir auf dem Parkplatz eintreffen, sind außer uns gerade keine weiteren Palangi hier, jedoch eine größere Gruppe einheimischer Jugendlicher, wohl ein Schulausflug. Der Lehrer hat alle Hände voll zu tun, sie daran zu hindern, über die Absperrung zu klettern und sich möglichst nah an den Blowholes zu fotografieren. Das ist nämlich keineswegs ungefährlich, auch wenn die ebenen Korallenplatten zunächst harmlos aussehen.

Sobald sich auf dem offenen Meer vor der Küste eine ausreichend große Welle aufgebaut hat, schießt das Wasser geysirartig durch die erodierten Kalkplatten. Solche Blowholes gibt es an vielen Orten auf der Erde, auf der Réunion fährt man auf der Autobahn direkt daran vorbei und niemand schaut wirklich hin - aber das hier ist eine andere Hausnummer. Nicht nur, daß die Fontänen eine beeindruckende Höhe erreichen, man kann außerdem die gesamte gewundene Küstenlinie von hier aus bis zum Horizont überblicken und zuschauen, wie sich die Gischt und die Fontänen selbst wie in einer Wellenbewegung aufbauen.


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Re: Dschungelcamp an der Datumsgrenze

Beitrag von Suse »

Die Blowholes waren der Grund, uns ursprünglich an diesem Küstenabschnitt eine Unterkunft zu suchen. Während wir noch auf die Vaea-Blowholes schauen, fällt uns ein, uns jetzt, wo wir schon in der Nähe sind, das von Gita zerstörte Resort einmal anzuschauen, in dem wir eigentlich wohnen wollten. Dann hätten wir den Strand, der uns auf Fotos so begeistert hat, wenigstens einmal in natura gesehen. Kautai kennt es, es ist bei Einheimischen beliebt, die selbst dort gern das Wochenende verbracht haben. Er meint, die Besitzer hätten sicher nichts dagegen und er selbst willigt ein, von seinem ursprünglichen Inselrundkurs abzuweichen und uns hinzufahren.

Der Weg führt durch Maniok- und Bananenplantagen und vorbei an großen Rinderherden, die, wie uns Kautai erzählt, meist einer Kirche gehören. Gelegentlich passieren wir kleine Dörfer mit der immergleichen Struktur - einige wenige stattliche Anwesen, viele kleine Stelzenhäuser, mindestens drei Kirchen und einen schwer vergitterten chinesischen Kramladen.

Bis auf die Ringstraßen, die um die Insel führen, sind die Wege unbefestigte Sandpisten voller Schlaglöcher. Es dauert eine Weile und verwirrend häufiges Abbiegen, bis wir am Keleti Resort angegekommen sind. Hier hätten wir tatsächlich einen Mietwagen gebraucht und die Organisation des Führerscheinerwerbs hätte zuvor sicher einige teure Taxifahrten nach Nuku'alofa erfordert. Wie sich herausstellt, wäre es uns das wert gewesen.

Das Hauptgebäude, in dem sich wohl das Restaurant befunden haben dürfte, ist schwer beschädigt und hat kein Dach mehr, die Seitenwände sind eingedrückt, auch einige der Gästeunterkünfte haben einiges abbekommen. Die Betreiberfamilie wohnt in einem kleinen Anbau am Hauptgebäude und möchte für den Besuch des Strandes zwei Pa’anga von uns haben. Sie sehen nicht glücklich aus, wie sie da neben ihrem zerstörten Hotel sitzen. Wir zahlen den kleinen Obolus gern und stiefeln hinunter zum Strand.


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Die Blowholes sind hier gemäßigter als weiter nördlich, die Korallenterrassen breiter und durch eine natürliche Absperrung von den Gischtfontänen getrennt. Darin bilden sich beschwimmbare flache Pools. Wir haben noch nie so einen faszinierenden Strand gesehen, wie genial muß das sein, direkt neben den Blowholes herumzuschnorcheln.


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Die steile Felswand, die sich hinter dem Strand erhebt und auf der das Resort thront, ist überwuchert von Kriechpflanzen. Wir sind weit und breit die einzigen Menschen, es ist wunderschön.


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Wir fragen uns nicht zum ersten Mal, wo genau die hohen Geldsummen versickert sein mögen, die Neuseeland, Australien und die USA als Wiederaufbauhilfe nach Gita zur Verfügung gestellt haben. Sollten nicht gerade solche Tonganer, deren Lebensgrundlage durch den Sturm zerstört wurde, als erste davon profitieren? Während wir den Strand besucht haben, hat Kautai sich mit den Betreibern unterhalten und erzählt uns, sie warteten auf Investoren. Da werden sie lange warten können, denn solange kein im Inland lebender Tonganer zuviel Geld übrig hat, wird sich wohl kaum jemand finden. Nicht nur, daß jeder Palangi sein Geld bei solch einem Investment in ein sehr schwammiges Rechtsgefüge versickern sieht, obendrein scheint das Land es gar nicht haben zu wollen. Ein gerade erst erlassenes Gesetz über Auslandsinvestitionen erschwert es sogar im Ausland lebenden Tonganern, in der Heimat Geld zu einzusetzen.

Die tonganische Regierung gilt als korrupt, das Königshaus ist vor allem für seine, nun ja, kreativen Geldgeschäfte bekannt, die denen der Seychellen in nichts nachstehen. Da verschwindet schon mal ein vom König zum persönlichen Hofnarren ernannter US-amerikanischer Banker mit ein paar Millionen Pa’anga auf Nimmerwiedersehen, die zuvor mit Verkäufen tonganischer Pässe an exilsuchende Palangi wie Imelda Marcos verdient wurden. Die Unterstützung solider Existenzgründer wie die hiesigen Gästehausbetreiber an einem Strand, der seinesgleichen sucht, ist da wohl zu sehr Peanuts.
Zuletzt geändert von Suse am 25 Jun 2019 07:29, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Dschungelcamp an der Datumsgrenze

Beitrag von Suse »

Wir lassen den traurigen Anblick des Keleti zurück und fahren weiter. Fast an der Nordspitze Tongas suchen wir eine Besonderheit, die die Privilegien des tonganischen Adels ausnahmsweise einmal positiv aussehen läßt. Im Gegensatz zu allen anderen Ländern Ozeaniens, in denen Flughunde von jedermann gejagt und gegessen werden, ist dies hier ein Vorrecht des Königs. Wahrgenommen wurde es aber seit Generationen nicht und dieser quasi-Schutzstatus hat zu einer enormen Population geführt, die neben Buckelwalschwimmern vor allem Flughundfans nach Tonga lockt.

Ausgestattet mit unserem Uralt-Reiseführer aus dem Walther-Verlag der neunziger Jahre, der bis heute als Standardwerk im spärlichen Tonga-Reiseführersegment gilt, haben wir allerdings einen falschen Eindruck, den Kautai zum Glück schon während der Fahrt richtigstellt. Die noch bis vor wenigen Jahren mehrere tausende Tiere umfassenden Kolonien, die den kleinen Ort Kolovai beherrschten und dort jeden Baum dicht an dicht bevölkerten, gibt es nicht mehr. Die Gründe sind unklar, ob sich die ausufernde Population selbst überlebt und ihrer Nahrungsgrundlage beraubt hat, oder eine Krankheit oder etwas anderes der Grund ist - bislang hat es niemand näher erforscht. Fest steht, die Tiere sind nicht ausgestorben, auch nicht bedroht, sie sind nur umgezogen, auf viele kleine Gruppen aufgesplittert, bewohnen mal hier einen Baum und mal dort einen, weit voneinander entfernt über ganz Tongatapu verstreut. In Flughundfan-Kreisen gibt es inzwischen Webseiten, in denen man sich die aktuellen Standorte genau mitteilt.

Zu unserem Glück sind einige wenige in Kolovai verblieben und Kautai kennt die Bäume, in denen man sie noch in größerer Zahl sehen kann. Wir finden sie in einem großen Kasuarina-Baum mitten auf einem Friedhof. Gegen das Betreten hat niemand etwas. Angenagelte Kinderkleider gibt es hier nicht, aber mehrere der sehr großen Häkeldecken, mit denen die Grabhügel verschönert werden.

Die Flughunde sind tagaktiv und zetern und zappeln herum, so daß wir einige Aufnahmen der Tiere im Flug machen können. Leider ist das Wetter nicht mehr sehr schön, es ist dicht bewölkt und ab und zu regnet es, so daß die Aufnahmen mit meiner Miniknipse nur so lala werden, aber immerhin haben wir noch einen Eindruck bekommen, wie es hier einmal gewesen sein muß. Der Mister hat derweil die Minolta vor dem Tröpfelregen in Sicherheit gebracht. Kautai fragt einen vorbeikommenden Passauten, wie es aktuell in Kolovai um die Flughunde bestellt sei, aber der winkt ab, wir bräuchten nicht weiter zu suchen, das seien schon alle.


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Auch hier ganz im Norden von Tongatapu gibt es eine Reihe sehr netter kleiner Gästehäuser. Jedoch zumeist Self-Catering, worauf wir angesichts der eingeschränkten Versorgungslage mit uns vertrauten Gemüsesorten und anderen Lebensmitteln nicht so richtig viel Lust hatten, denn das wäre vermutlich sogar schwieriger geworden, als auf Luahoko. Der Tonganer selbst versorgt sich nicht beim Chinesen, dort wird der Einkauf höchstens mit westliche Produkten ergänzt. Man kauft entlang der Straße beim Gemüsehändler, die aufgeschichteten Melonen-, Maniok- und Tarowurzelberge sind enorm. Auch der Handel mit Oberbekleidung findet hier entlang der Straßen statt. Man kann im Vorbeifahren nicht immer sofort unterscheiden, ob hier Wäsche zum Trocknen oder zum Verkauf aufgehängt wurde.
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Re: Dschungelcamp an der Datumsgrenze

Beitrag von Klara »

Suse hat geschrieben: 24 Jun 2019 23:25
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stark, ich kenne die eher in belaubteren Bäumen wo man sie nicht so gut erkennen kann wie in den eher lichten Kasuarien hier. Süß finde ich den, der sich das Gesicht nicht bedeckt.
Danke + LG
Klara
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Re: Dschungelcamp an der Datumsgrenze

Beitrag von Suse »

Der Tag ist zwar nicht sonnig, aber dennoch drückend schwül und wir freuen uns, daß wir jetzt den Programmpunkt erreichen, der der Grund dafür ist, daß wir schon den ganzen Tag unsere Badesachen unter der Kleidung tragen - die Anahulu Caves. Eine Kalksteinhöhle im Korallengestein mag etwas Besonderes sein, als Höhle an sich sind die Anahulu Caves bei weitem nicht so beeindruckend wie vieles, was man zum Beispiel Harz sehen kann. Den Reiz macht der unterirdische See aus, in dem man schwimmen darf.

Die Höhle befindet sich auf einem Privatgrundstück, noch vor ein paar Jahren mußte man vor dem Betreten beim Besitzer um Erlaubnis ersuchen. Inzwischen steht er selbst dort und hält die Hand auf. Mit 15 Pa’anga will er kein Vermögen, außerdem ist seither für ausreichend Beleuchtung gesorgt und man muß nicht mehr im Schein selbst mitgebrachter Taschenlampen über die glitschigen Felsen klettern. So erfahren wir auch gleich am Eingang, daß außer uns heute niemand da ist und wir den See ganz für uns haben.

Das wiederum ist nun zumindest für mich etwas ganz Besonderes. Während der Mann schon in Höhlen getaucht ist, habe ich in einem unterirdischen See noch nicht mal einen Zeh ins Wasser gehalten. Das wird sich heute ändern. Wir sind ruckzuck in Badesachen und im See. Es ist kühl, aber nicht kalt, und glasklar, und schmeckt hervorragend. Während wir uns in der Stille treiben lassen, kein Geräusch, außer dem leisen Plingplong gelegentlicher Wassertropfen, die emsig an den Stalaktiten arbeiten.


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Als wir aus der Höhle kommen, sind wir erfrischt und hungrig. Die Frage nach einem Imbiß irgendwo überfordert den armen Kautai ein bißchen, es scheint, daß er es gewohnt ist, daß seine Gäste im Hotelrestaurant essen. Wir hätten lieber irgend ein Dorflokal, wo der Einheimische sich den Bauch vollschlägt. Sowas ist gar nicht so einfach zu finden, in Tonga ißt man üblicherweise zuhause. In Nuku’alofa gibt es Restaurants und Imbißbuden, aber hier, auf dem Land, weit entfernt von der Hauptstadt – Fehlanzeige. Schließlich fällt uns der Flughafen-Diner ein, den wir im Vorbeifahren schon mehrmals passiert haben. Authentisches tonganisches Essen bekommt man hier zwar auch nicht, dafür voluminöse Cheeseburger und eiskalte Cola, auch gut. Während wir mampfen, überlegt Kautai sich den weiteren Verlauf der Route. Wenn man bedenkt, für welche Preise man bei anderen Guides eine Dreistunden-Tour bekommt, haben wir mit ihm einen Volltreffer gelandet. Kautai ist unermüdlich, man hat auch nicht das Gefühl, daß er einfach nur eine gute Dienstleistung erbringen möchte, es scheint ihm daran gelegen zu sein, uns seine Heimatinsel möglichst detailliert zu zeigen, die nach allem, was wir bis jetzt gesehen haben, ja von den Göttern auch wunderschön gestaltet ist.

Neben ein paar Vokabeln und Felsenzeichnungen teilen sich die Völker Polynesiens ja vor allem die Sagenwelt. Während Gott Tangaroa für die groben Arbeiten zuständig war – das Fischen der Inseln aus dem Ozean und das Heben des Himmels, damit die Menschen aufrecht darauf herumgehen konnten, war für die Feinarbeiten ein Halbgott zuständig, der jedem vertraut ist, egal, ob er bereits einmal die Südsee besucht hat, oder nicht: Maui.

Wenn man es recht überlegt, war Maui allerdings eher ein schlecht erzogener Dauerpubertierender mit fehlender Impulskontrolle, denn die meisten der geologischen Besonderheiten hier und auf anderen Inseln sind schlicht Folgen seiner maßlosen Wutanfälle.

Der Tsunami-Rock, für Menschen, die nicht an Göttersagen glauben, einfach nur der Beweis für die unvorstellbaren Kräfte der Plattentektonik und des Ozeans, für alle anderen ein Felsbrocken, den Maui, der der Sage nach auf Eua lebte, nach einem Hahn warf, dessen Krähen ihn störte.

Der ungefähr 10 Meter hohe Felsen, der vor mehreren tausend Jahren vermutlich durch eine von einem Vulkanausbruch ausgelöste Tsunamiwelle an Land geworfen wurde, hat noch sechs weitere Kollegen, die sich alle entlang der Westküste Tongatapus befinden. Auf der flachen Insel sind sie nicht weit gerollt, sondern nah der Küste liegengeblieben, wo sie von den Einheimischen begeistert als Ausguck und Versteck genutzt wurden. Durch Erosion haben sich an der Unterseite des Felsens Kavernen gebildet, in denen in grauer Vorzeit, als es noch kein Corned Beef in Dosen gab, Kannibalen gehaust haben sollen.


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Als wir auf dem Boden knieen, um mit leichtem Gruseln in die Höhlen hineinzuschauen, fällt auf, daß der Boden um den Felsen herum dicht an dicht mit kleinen Mimosenpflanzen bewachsen ist, es ist ein richtiger Teppich. So etwas habe ich noch nie gesehen und mich wundert, daß das Betreten durch Besucher und die Last der Autos den sensiblen Pflanzen nicht schaden.

Hufangalupe, eine natürliche Landbrücke im Süden Tongatapus, geht ebenfalls auf Mauis Konto. Nicht nur hier, auch auf Eua, wo es eine ganz ähnliche Felsformation gibt, tobte er sich mit einem Speer aus und bohrte erzürnt Löcher in die Felsen. Es ist nicht überliefert, was diesmal seinen Zorn erregte, aber da Hufangalupe „Das Taubentor“ bedeutet, kann man es wohl vermuten. Wenn man so darüber nachdenkt, ist Mauis Verhalten vielleicht doch gar nicht so ungewöhnlich. Von Nachbarn, die auf krähende Hähne und gurrende Tauben aggressiv reagieren, kann manch ein Landwirt ein Lied singen, dessen Dorf sich ein schickes Neubaugebiet zugelegt hat.

Der Hufangalupe liegt versteckt zwischen Feldern und wäre ohne Kautais Ortskenntnisse nicht zu finden gewesen. Wir lassen das Auto stehen und wandern die schmalen Pfade im Gänsemarsch entlang. Die Aussicht durch das Taubentor ist beeindruckend, die Wellen schlagen tosend unter der Landbrücke durch. Die soll übrigens stabil sein, auch Autos können sie überqueren. Wir gehen aber zu Fuß und können nochmal den grandiosen Ausblick über die gesamte Westküste Tongatapus genießen. Ganz klein in der Ferne erkennen wir das zerstörte Gebäude des Keleti Resorts.


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Auf dem Rückweg zum Auto biegt Kautai in einen Seitenweg ab. Er will uns etwas zeigen, daß die meisten anderen Guides unter den Tisch fallen lassen, es sei etwas Besonderes, ein einsamer Strand, nur vom Wasser aus erreichbar.

Ich muß sicher nicht lange erläutern, was diese Worte auf jemanden, der lange vor der Zeit der Marron-Guides mit Drahtbürsten über La Digue gezogen ist um Wegweiserpfeile vom Granit zu schrubben, für eine Wirkung haben. Wir haben kaum einen Blick in die tief unter uns liegende Bucht mit dem tatsächlich traumhaft schönen Strand geworfen, als es schon hinter der Minolta hervormurmelt: Gibt’s da einen Weg hin? Kann man da runter?

Dummerweise fällt das bei Kautai auch noch auf fruchtbaren Boden. Wisse er nicht, sagt er, er selbst sei noch nicht dort unten gewesen, müsse man mal ausprobieren, er werde mal überlegen, aber wenn wir nächstes Jahr nochmal wiederkämen, dann könne man ja mal gemeinsam versuchen... Na ganz großartig.


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Re: Dschungelcamp an der Datumsgrenze

Beitrag von Klara »

Suse hat geschrieben: 26 Jun 2019 00:26 So erfahren wir auch gleich am Eingang, daß außer uns heute niemand da ist und wir den See ganz für uns haben.
Das toppt ja noch den Upgrade im Hotel. Einfach toll. Allein in so einer Höhle schwimmen muss ein ganz besonderes, unvergessliches Erlebnis sein, da könnte bei mir fast ein Hauch von Neid aufkommen, aber durch euren Beicht kann ich ja auch mitgenießen :wink:
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Suse hat geschrieben: 26 Jun 2019 00:26 Während wir mampfen, überlegt Kautai sich den weiteren Verlauf der Route. Wenn man bedenkt, für welche Preise man bei anderen Guides eine Dreistunden-Tour bekommt, haben wir mit ihm einen Volltreffer gelandet. Kautai ist unermüdlich, man hat auch nicht das Gefühl, daß er einfach nur eine gute Dienstleistung erbringen möchte, es scheint ihm daran gelegen zu sein, uns seine Heimatinsel möglichst detailliert zu zeigen, die nach allem, was wir bis jetzt gesehen haben, ja von den Göttern auch wunderschön gestaltet ist.
Klar doch, mit einem Team wie euch, informiert, wißbegierig und begeisterungsfähig muss das dem Guide doch einfach ein Vergnügen sein.
Danke + LG
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Re: Dschungelcamp an der Datumsgrenze

Beitrag von foto-k10 »

Und ich dachte, nach den Purzeln ist Schluß ...
Stattdessen wilde Küstenabschnitte und unheimliche Höhlen :shock:
wie genial muß das sein, direkt neben den Blowholes herumzuschnorcheln.
Genial?
Ich würde es eher als lebensmüde bezeichnen.
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Re: Dschungelcamp an der Datumsgrenze

Beitrag von Suse »

foto-k10 hat geschrieben: 26 Jun 2019 17:58 Und ich dachte, nach den Purzeln ist Schluß ...
Stattdessen wilde Küstenabschnitte und unheimliche Höhlen :shock:
wie genial muß das sein, direkt neben den Blowholes herumzuschnorcheln.
Genial?
Ich würde es eher als lebensmüde bezeichnen.
Nee, zwei, drei Beiträge kommen noch. Und unheimlich wirds auch nochmal. :shock:

Die Blowholes vorm Keleti sind von den Pools durch eine natürliche Korallenbarriere abgetrennt. Wir haben es ja nicht ausprobieren können, aber das Schwimmen war unter Einheimischen ganz üblich.
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Re: Dschungelcamp an der Datumsgrenze

Beitrag von Suse »

Klara hat geschrieben: 26 Jun 2019 08:43
Das toppt ja noch den Upgrade im Hotel. Einfach toll. Allein in so einer Höhle schwimmen muss ein ganz besonderes, unvergessliches Erlebnis sein,
Das war es auch. Diese Stille und dieses klare Süßwasser, herrlich. :D
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Re: Dschungelcamp an der Datumsgrenze

Beitrag von Suse »

Nachdem wir die Südspitze Tongatapus umrundet haben und uns entlang der Ostküste wieder Richtung Nuku’alofa bewegen, passieren wir den Ha‘amonga'a Maui, „die Last, die nur von zwei Männern getragen werden kann“. Wer nun auf die nächste Eskalationsgeschichte Mauis wartet, wird enttäuscht, denn tatsächlich soll er hier einmal etwas Konstruktives getan und die gewaltigen Steinquader des Stonehenge von Tonga, wie der Trilithon gern genannt wird, ganz allein in einem Kanu herantransportiert und errichtet haben. Warum er das getan hat, das weiß niemand sicher. Manche würden gern die Parallele zu Stonehenge ziehen und sagen, daß der Ha‘amonga'a als astronomischer Kalender gedient haben soll, aber wahrscheinlicher ist, daß es sich um einen Versammlungsplatz oder Eingang eines Königspalastes gehandelt hat.

Durch den Torbogen hindurch erkennt man am Ende des Platzes den „Maka Faakinanga“, den Stein des Königs, an den selbiger sich lehnte, wenn er das Wort ans Volk richtete, um vor möglichen Attentätern geschützt zu sein. Weshalb die Untertanen hinterrücks solcherlei Boshaftigkeiten vorgehabt haben könnten, erklärt sich, wenn man weiß, daß der Name des Königs, dem die Errichtung des Trilithons zugeschrieben wird, sich mit „König, der in die Kniekehlen schlägt“ übersetzt. Sie waren nicht sehr nett zueinander, die antiken Tonganer.


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Da in Tonga tiefergehende Untersuchungen an antiken Gebäuden oder anderen Stätten nur sehr zögerlich zugelassen werden, kommt die Forschung nicht wirklich voran. Dies gilt insbesondere für die Langi, die Königsgräber, gewaltige pyramidenartig angeordnete Quadrate aus Korallenblöcke, die sich entlang der Ostküste Tongatapus aufreihen. So weiß man bisher lediglich, daß jede einzelne Ecke der Steinquadrate einen perfekten 90 Grad-Winkel bildet, was unter Archäologen als Besonderheit gilt. Man weiß nicht, wie sie es angestellt haben, aber Kautai ist sichtlich stolz auf die architektonische Leistung seiner Vorfahren.

Wir selbst sind ein bißchen abgelenkt, denn zwischen den breiten Grabpyramiden tummelt sich eine Gruppe Tonganer, die bereits intensiv etwas Hochprozentigem zugesprochen haben. Über einige, die bereits ihren Rausch ausschlafen, müssen wir fast hinwegsteigen, andere arbeiten noch daran und torkeln herum. Es ist das erste und auch einzige Mal, daß mir eine Begegnung mit Tonganern unangenehm ist, was vor allem daran liegt, daß sie doch ziemlich viele sind und wir nur zu dritt. Kautai ist aber ganz entspannt und meint, sie seien harmlos, womit er vermutlich recht hat, denn aufdringlich sind sie überhaupt nicht. Trotzdem kann ich die Königsgräber nicht so recht würdigen, habe immer ein halbes Auge bei der gröhlenen Truppe und bin schon ein bißchen erleichtert, als wir mit all unseren Habseligkeiten wieder im Auto sitzen.

Obwohl Kautai nun schon den ganzen Tag mit uns unterwegs ist, willigt er sofort ein, am Stadtrand von Nuku’alofa mit uns in einer Seitenstraße zu halten, in der ich etwas suche, das neben all den Altertümern, die wir heute gesehen haben, tatsächlich auffallend allein für das moderne Tonga steht.

Auf Vava’u, wo es, wie man uns sagte, touristischer zugehen soll, als hier im Süden, soll es vereinzelt Künstler geben, die auf Hausbooten und anderen unkonventionellen Unterkünften ein Aussteigerleben führen. Hier auf Tongatapu scheint es neben traditionellem Kunsthandwerk wenig Raum für Kreativität zu geben, zumindest auf den ersten Blick. Es gibt sie aber sehr wohl, die jungen Künstler, die sich mühsam gesellschaftliche Anerkennung erkämpfen.

Anders, als es sich die ersten Besucher Ozeaniens vorstellten, bestand das Leben auf pazifischen Inseln noch nie aus Müßiggang in einer freigiebigen Natur, die Raum zur Entfaltung und freien Liebe ließ. Wenig durchlässige Gesellschaftsstrukturen, die von jeher auf einem Erbadel beruhten, und knappe Ressourcen bedeuteten vor allem für junge Menschen ärmerer Gesellschaftsschichten ein fremdbestimmtes Leben voller Restriktionen.
Im Gegensatz zu anderen Ländern Polynesiens, die längst einen westlichen Lebensstil angenommen haben, wird die traditionelle Lebensweise in Tonga zum einen durch die Machtposition der Königsfamilie und zum anderen durch den Einfluß der Kirchen gestützt, die jede auf ihre Weise daran interessiert sind, ihre Privilegien zu erhalten.

Die Tonganer, so schrieb ich anfangs, scheinen es zufrieden zu sein, doch dies stimmt nur bedingt. Wie überall, wo durch Kontakte oder eigene Aufenthalte im Ausland eine Vorstellung von einer anderen, gleichberechtigteren Gesellschaftsform entstehen, formierte sich auch unter den jüngeren Tonganern Widerstand gegen die Vormachtstellung der Herrschenden. Und genauso wie überall dort, wo jeglicher Widerspruch unterdrückt wird, kam es auch in Tonga irgendwann zur Explosion.

Vor ein, zwei Generationen, als Reisen in ferne Länder nur wenigen Privilegierten vorbehalten waren, prägte vor allem einer das Bild Tongas in den Köpfen der Deutschen: König Toupou IV, der sprichwörtlich dicke Freund von Kanzler Kohl, der einzige, dem es gelang, neben der Bundesbirne optisch nicht vollkommen unterzugehen. Er war ein bekennender Freund Deutschlands, liebte Bismarck und die Deutschen allgemein und nutzte seine Besuche in Hamburg zu einem öffentlichen Aufruf, sie seien alle eingeladen, sich in Tonga niederzulassen. Und es kamen tatsächlich einige, die den Grundstein legten für die zahlreichen von Deutschen gegründeten Gästehäuser und Hotels.

Was vermutlich im Ausland niemand wußte, war, daß der nette dicke König und vor allem sein Sohn, bei dem es offenbar ebenso an elterlicher Aufsicht im Kinderzimmer gemangelt hatte wie bei Maui, ihre Untertanen gern als Dreckfresser bezeichneten, sich von ihnen die Füße küssen oder selbige bei offiziellen Feierlichkeiten sogar bequem auf dem Rücken der Bauernkinder abzulegen pflegten. 2006 hatten die Tonganer dann genug.

Es begann harmlos. Sie kamen mit großen Dosen ihres Lieblingsessens, Corned Beef, und warfen mit dem Inhalt um sich, als Zeichen des Protests. Sie campierten neben dem Palast, forderten Reformen und weigerten sich, nach Hause zu gehen. Der König ersuchte um militärische Unterstützung im Ausland. Australien und Neuseeland schickten Truppen, die zunächst den Flughafen unter Kontrolle brachten, um die neuseeländischen Botschaftsangehörigen und eine Handvoll Touristen auszufliegen. Nuku’alofa jedoch war nicht mehr zu retten, denn die Tonganer hatten sich von Corned Beef auf Molotow Cocktails verlegt. 80 % der Gebäude brannten nieder, zahlreiche Plünderungen chinesischer Einzelhändler waren zu verzeichnen, 8 Tote zu beklagen.

Im Nachhinein wird es gern so dargestellt, als hätten die Aufstände vor allem einen fremdenfeindlichen Hintergrund gehabt. Mag sein, daß auch solcherart Motivierte unter den Aufständischen waren, wahrscheinlicher ist, daß im Zuge der Unruhen mehrfach die Gelegenheit zu Plünderungen der Chinesenshops genutzt wurde. Denn die Forderungen der Menschen waren ganz klar andere: Sie wollten demokratische Wahlen und eine Beschneidung der Machtbefugnisse des Königs.

Einige wenige Reformen hat es dann auch gegeben. So stellen inzwischen demokratisch gewählte Volksvertreter über die Hälfte der Parlamentsabgeordneten, den Rest allerdings immer noch automatisch Angehörige der Adelsfamilie. Ebenso hat der König weiterhin die Befehlsgewalt über das Militär, das Vetorecht bei Gesetzeserlassen und vor allem das Recht, Richter zu ernennen; von einer wirklichen Gewaltenteilung kann somit nicht die Rede sein.

Nicht jeder junge Tonganer kann oder will sein Glück im Ausland versuchen. Eine Möglichkeit, mit den Beschränkungen des Alltags und der Fremdbestimmtheit umzugehen, ist auch hier oftmals Drogengebrauch mit allen damit einhergehenden Konsequenzen. Andere Ventile scheint es für die tonganische Jugend kaum zu geben. Keine Subkulturen, kaum Raum für individuelle Entfaltung. Zumindest nicht mehr seit letztem Jahr.

Die Graffiti hier in Havelulotu, einem Vorort im Süden von Nuku’alofa, sind das Werk der Seleka Art Initiative, deren Gründer, Tevita Latu, bereits 2006 zu den Protestierenden gehörte und seither mit seinen subversiven Aktionen von der Regierung mehr oder weniger toleriert wird. Bis 2018, als auch das Haus der Seleka Künstlergemeinschaft durch Gita zerstört wurde, organisierte man dort einfallsreiche interaktive Kunstprojekte wie beispielsweise einer geheimen Kammer, in der Tonganern in der Anonymität des vollkommen abgedunkelten Raums die Möglichkeit gegeben wurde, ihren Frust an die Wände zu schreiben.

Die hiesigen Graffiti an den Mauern der örtlichen Mittelschule sollen das Bewußtsein der Bevölkerung für einen gesünderen Lebensstil wecken und stellen Tangaroa im Zwiespalt zwischen dem ursprünglichen polynesischen Lebensstil und den westlichen Einflüssen dar. „Wähle ein gesundes Leben“ übersetzt mir Kautai dann auch den Wahlspruch in der Mitte.

Das ist zwar insofern ein bißchen witzig, als bekannt ist, daß die Mitglieder der Sekala Art Initiative gern große Mengen Kava tranken, das sie stilecht in einer Kloschüssel anrührten (Seleka ist ein Anagramm des tonganischen Wortes für Toilette), aber ganz sicher wären Graffiti mit einem aufrührerischeren Inhalt im Rahmen eines offiziell von der Pazifischen Gemeinschaft geförderten Kunstprojektes wie diesem nicht möglich gewesen.

Vermutlich ist es überhaupt nur dem Protektorat der einflußreichen länderübergreifenden Instanz zu verdanken, daß die Gruppe sich hier verewigen durfte. Und immerhin ist es eine traditionelle polynesische Gottheit, die hier sprechen darf, und nicht Jesus oder ein Mormonenprophet. Das Spannungsfeld, in dem ein unangepaßter Künstler sich hier bewegen muß, dürfte erheblich sein und einigen Mut erfordern.

Wer bei der Entstehung der Graffiti zuschauen möchte:

https://www.youtube.com/watch?v=F26RTlHf8G4


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Tevita Latu, der Gründer von Seleka stellt inzwischen recht erfolgreich in Fiji und Neuseeland aus.

Zurück in der Seaview Lodge sind wir randvoll mit Eindrücken und ziemlich müde. Kautai ist immer noch munter und in Gedanken schon bei morgen: Dienstag, ein normaler Arbeitstag auf Tongatapu mit entsprechendem Verkehrsaufkommen. Wir werden also früh los müssen zum Flughafen, denn es steht unser letztes Abenteuer in Tonga bevor: Eua.

Der Flug zwischen Tongatapu und Eua gilt als der kürzeste Linienflug der Welt und dauert zwischen 10 und 15 Minuten. Die Maschinen sind winzig, so daß wir nur 10 Kilo Freigepäck pro Person haben dürfen. Den Vormittag bringen wir also damit zu, wieder einmal alles Überflüssige auszusortieren und die notwendigen Dinge in einen gemeinsamen Koffer zu stopfen.

Der Flug verspricht spannend zu werden. Das Wetter hat sich leider nicht mehr berappelt, es ist bewölkt und ziemlich windig. Beim Wenden auf der Startbahn quietschen die Räder der Maschine so gräßlich, daß wir uns fragen, wie das bei der Landung werden soll.

Zu sehen gibt es auch nicht viel, anstelle des Anblicks der grünen, waldreichen Insel nur graue Wolken und Regentropfen, die am Fenster hin- und herhüpfen, während wir ordentlich durchgerüttelt werden. Bei der Landung werden dann sogar die fröhlichen Tonganer still. Die Bremsen quietschen wie verrückt und es fühlt sich auch ein bißchen an wie Aquaplaning, als wir die Landebahn entlangsausen. Irgendwann kommen wir mit einem Ruck zum Stehen, kollektives Aufatmen und alle quetschen sich erleichtert aus der Maschine.

Wenn der Flughafen von Lifuka schon klein war, hat der von Eua nur noch die Optik und Ausmaße einer Tankstelle. Geschmückt sind die Wände mit großformatigen Fotografien von Euas Landschaftlichen Schönheiten. Da unser Koffer als letzter entladen wird, haben wir genügend Zeit sie zu betrachten.


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So ganz anders soll die Insel sein als die anderen, flachen Inseln Tongas. Bergig und voller Wald, mit schroffen Felsklippen und tiefen Canyons (die natürlich einem Wutanfall Mauis zu verdanken sind).

Die Insel ist nicht nur von Natur aus so waldreich, das ist ausnahmsweise einmal einer nicht ganz so exzentrischen Geschäftsidee einer Prinzession entsprungen, die die Forstwirtschaft für sich entdeckt hatte. Aber auch wenn ein Großteil des Waldes Nutzwald ist, es gibt einen Nationalpark mit Wasserfällen, es gibt Papageien und wilde Pferde, Dinge, die es auf den anderen Inseln Tongas nicht gibt. Die Lost World, der Jurassic Park Tongas, so überschlagen sich die Beschreibungen der Menschen, die vor uns hier waren.

Wir freuen uns sehr auf das, was uns hier erwarten wird. Was uns dann tatsächlich erwartet, das verbuchen wir später als „Die Papillon-Experience“.
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mr.minolta
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Re: Dschungelcamp an der Datumsgrenze

Beitrag von mr.minolta »

foto-k10 hat geschrieben: 26 Jun 2019 17:58
wie genial muß das sein, direkt neben den Blowholes herumzuschnorcheln.
Genial? Ich würde es eher als lebensmüde bezeichnen.
Man kann das tatsächlich gefahrlos machen!

Auf dem Foto sieht man sehr gut, wie die Korallen-Terrassen auch die stärksten Brecher aufhalten. In den Pools kommt nichts davon an. Verboten ist nur das Betreten der Felsen.

Die ganze Struktur erinnert sehr an die Marron auf La Digue. Der Pool dort ist ebenfalls durch eine Granitbarriere geschützt.


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Es scheint, daß es neben der Republik der Seychellen auf der Welt kein zweites Land gibt, das für sich selbst derart ausdrücklich mit besonderem Umweltschutz wirbt und in der Realität so unfaßbar dreist das absolute Gegenteil davon praktiziert.
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