Gegen Mittag geht es dann aber los, wir hören sie schon von weitem, ganze Besuchergruppen, die sich hier offensichtlich auskennen und direkt mit Anlauf und Arschbombe ins Wasser springen. So richtig verübeln kann man es ihnen nicht, es ist nun einmal das, was Nordfloridianer als Bademöglichkeit haben, in den Seen kann man wegen der Alligatoren nicht schwimmen und Badeanstalten, wie sie wir kennen, gibt es kaum. Wer keinen Privatpool hat, geht eben in eine Quelle, und welcher Fünfzehnjährige hat schon Lust, da mucksmäuschenstill herumzutreiben, nur aus Rücksicht auf irgendwelche Critters. Das meine ich keineswegs sarkastisch.
Nach dem Schwimmen suchen wir uns einen der im Park fest installierten Grills, lassen es uns gut gehen, und beratschlagen, wie wir die letzten Tage verbringen wollen. Der Hurrican aus Kuba steht vor der Tür, es ist nochmals mit deutlicher Wetterverschlechterung zu rechnen.
Wir möchten gern nochmal nach White Springs, die kleine Stadt hat es uns angetan. Eigentlich würden wir auch gern nochmal in die Paynes Prairie, aber wir haben keine Lust, nochmals dem zornigen Propheten in die Fänge zu geraten, also wenn, dann an einen anderen Aussichtspunkt.
Leider ist das Wetter am Folgetag vormittags wieder einmal so schlecht und ein Gewitter jagt das nächste, daß wir alle Pläne fallenlassen müssen. Etwas frustiert sitzen wir im Motelzimmer, letztlich fällt die Entscheidung auf eine ausgiebige Shoppingtour und darauf, den Tag in Lake City zu verbringen. Wir haben tatsächlich auch etwas auf der Einkaufsliste abzuhakten, frisches Off Deep Woods für kommende Reisen, ein paar Medikamente, einen Vorrat Beef Jerky für die Heimat.
Ein Besuch in der Mall von Lake City vermittelt rasch das Sommerfeeling, das draußen gerade fehlt, Vogelgezwitscher vom Band, Tageslichtlampen, eine üppige Deko aus künstlichen Pflanzen, das wirkt alles so, als spaziere man durch eine Tropenlandschaft voller Geschäfte. Darunter ein Michael’s Store mit einem schier unerschöpflichen Angebot von Bastelbedarf für alle kreativen Hobbys, die man sich so denken kann. Die Auswahl an Fotoalben (ich liebe schöne, themenbezogene Alben) ist gewaltig, wenn doch nur Platz im Koffer wäre. Vom Gewichtsproblem einmal gar nicht zu reden. Aber ein paar Sticker, ein paar Aquarellbuntstifte und ein bißchen Zubehör für die alljährliche Pralinenproduktion müssen mit. Das Limit meiner Kreditkarte ist noch nicht ausgeschöpft, aber ich marschiere in Riesenschritten darauf zu... Im Bath & Body Works umtanzt uns ein reizender Verkäufer und so verlasse ich auch diesen Laden mit wohlduftenden Dingen, die obendrein im heimischen Badezimmerregal noch einen Dekoeffekt erfüllen.
Dann zum Walmart. Was wir suchen, ist rasch gefunden, allerdings entdecke ich auch Dinge, mit denen ich gar nicht gerechnet hätte. Hier in den USA steht bereits seit gestern der neue Stephen King (The Outsider) im Regal und der Klappentext liest sich so gut, daß ich nur schwer widerstehen kann, die schwere gebundene Ausgabe mitzunehmen.
Danach hat es sich ein bißchen aufgeklart, aber die Luft ist drückend und schwül. Sobald der Regen aufhört und die Sonne auch nur minutenweise durch die Wolken scheint, wird es sofort wieder sehr heiß. Wir nutzen den Nachmittag für eine weitere Wanderung am Alligatorlake. Außer uns ist niemand unterwegs, es ist still und schön, wir sehen Schildkröten, Alligatoren und sogar ein Kaninchen. Und die Bremsen und Feuerameisen sehen leider auch uns.
Das ist aber nicht der einzige Grund, weshalb wir darauf verzichten, den Rundweg um den See einmal abzugehen. Auch in Lake City gibt es nicht nur nette historische Ortsteile und große Waldgrundstücke, sondern sehr wohl auch Viertel, die slumähnlichen Charakter haben und der Weg führt uns durch solche zwar nicht direkt mitten hindurch, aber doch daran vorbei. Der aggressiv klingende Rap, der aus dieser Richtung über den See zu uns herübergeweht kommt, wirkt für mich auch nicht gerade vertrauenerweckend.
Statt dessen drehen wir eine kleine Runde um den Lake de Soto, den kreisrunden See im historischen Stadtkern von Lake City. Mitten in der Stadt wimmelt es hier von Tieren, verschiedenste Wasservögel, Anhingas und Schildkröten. Nicht anders als in Deutschland kommen die Einwohner, auch jüngere, abends hierher zum Entenfüttern, die Tiere, die hier dementsprechend prächtig gedeihen, haben jede Menge Küken.
Unweit des Sees ein historischer Friedhof. Die Steingräber halb verfallen unter riesigen Live Oaks voller Moos, hat er uns im Vorbeifahren schon vor längerem neugierig gemacht und heute ist endlich Gelegenheit, uns durch die Seitenstraßen zu arbeiten bis wir die kleine Nebenstraße gefunden haben, in der der Eingang liegt. Gegen Abend ist es wieder schön geworden, so daß wir eine Weile hier herumgehen und ein Gefühl für den Ort zu bekommen versuchen. Nach den Eichen ist er benannt, Oak Lawn Cemetery, einer der ältesten Friedhöfe der Stadt. Viele der Gräber sind die unbekannter Soldaten, die in der Schlacht von Olustee gefallen sind, die unweit der Stadt stattfand (natürlich gibt es einen State Park dazu
).
Wer nicht als Soldat fiel, starb aus anderen Gründen früh. Zu denen, die nicht als reiche Badegäste in den Norden kamen, war das Land nicht sehr freundlich. Auffällig die vielen kleinen Grabsteine, Kinder, die kaum je das 4. Lebensjahr erreichten. Manche Familiengabstätten geben regelrechte Tragöden preis. Eltern, die von ihren zahlreichen Kindern eines nach dem anderen beerdigten, bevor diese überhaupt das Schulalter erreicht hatten. Kaum vorstellbar, wie ein Heilbad wie White Springs mit Bade- und Teehäusern voller erholungssuchender reicher New Yorker, und wenige Meilen weiter südlich eine neu gegründete Kleinstadt namens Alligator, voller Cracker, die von Malaria und Gelbfieber dahingerafft wurden, gleichzeitig existieren konnten.